: „Ja, es ist Selektion“
■ Die Biotechnologie verspricht, Leiden an Krankheit und Behinderung zu reduzieren – auch dadurch, dass genetisch defekte Embryos gar nicht erst zur Welt kommen. Ein Streitgespräch
Noch ist es in Deutschland verboten, den menschlichen „Mehrzeller“ genetisch darauf zu überprüfen, ob er sich zu einem behinderten oder schwer kranken Baby auswachsen wird. Mit der Präimplantationsdiagnostik (PID) könnte das möglich werden – wie bereits in Belgien, Holland und acht weiteren EU-Ländern der Fall. Dorthin fahren erblich vorbelastete Paare schon, um erst nach dem genetischen Unbedenklichkeitstest am – im Reagenzglas gezeugten – Embryo diesen implantieren zu lassen. In Deutschland tobt derweil die öffentliche Auseinandersetzung um das Für und Wider der PID.
Die einen argumentieren, PID sei besser als die – verbotene, aber nicht strafbare – Abtreibung im Fall, dass ein schwer behindertes Kind zu erwarten wäre. In ihren Augen findet Selektion erwünschten Lebens schon lange statt – nur eben mit anderen Methoden. Die anderen halten dagegen. Sie fürchten, dass die gesetzliche Regelung von PID zum moralischen Dammbruch der Werte führt. Dieser würde nicht nur das Recht auf Leben einschränken, sondern – wenn im Rahmen der biotechnologischen Forschungsanforderungen auch das Embryonenschutzgesetz geändert würde – auch die embryonale Stammzellen zum Ersatzteillager der Menschheit machen.
Zur Präimplantationsdiagnostik hat die Bundesärztekammer unterdessen einen Entwurf vorgelegt. Danach soll in bestimmten Fällen, deren Zahl in Deutschland auf jährlich rund 100 geschätzt wird, die PID erlaubt sein. Auch der neu gegründete Nationale Ethikrat wird sich mit dieser Frage befassen – und Ende Mai der Bundestag.
Über ihre Haltung zur umstrittenen Präimplantationsdiagnostik sprach die taz mit der Präsidentin der Bremer Ärztekammer, Dr. Ursula Auerswald, und mit Margaretha Kurmann, Leiterin der Bremer Arbeitsstelle Pränataldiagnostik/Reproduktionsmedizin, dessen Träger der Bundesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte e.V. ist.
taz: Die Bundesärztekammer hat jetzt einen öffentlichen Diskussionsentwurf zum Thema PID vorgelegt. Sind Sie zufrieden damit?
Ursula Auerswald: Ja. Wir meinen, dass solch grundsätzlich ethische Fragen nicht per Mehrheitsentscheidung in der Ärzteschaft geregelt werden dürfen.
taz: KritikerInnen äußern dabei immer wieder Misstrauen gegenüber dem Entwurf.
Margaretha Kurmann: Misstrauen richtet sich vor allem gegen Interessenlagen von bestimmten Einrichtungen und Berufsgruppen innerhalb der Ärzteschaft, Stichwort: Reproduktionsmedizin. Aus unserer Sicht berühren die geplanten Veränderungen auch das Embryonenschutzgesetz. Problematisch finden wir auch, dass der vorgelegte Entwurf sehr weitgehend regelt, wie PID mit Beratung funktionieren könnte. Wir meinen nämlich, man muss erst über das Ob entscheiden. Schließlich haben wir das Erfahrungsfeld Pränataldiagnostik, aus dem wir lernen müssen. Wir wissen beispielsweise, dass eine Frau mit40 heute nicht mehr einfach nur schwanger werden kann, ohne Diagnostik. Das liefe dem Mainstream extrem zuwider. Die Nachbarn sagen doch: Muss das sein, ein behindertes Kind? Eine Normierung hat bereits stattgefunden – und das wird sich hinsichtlich der Präimplantationsdiagnostik fortsetzen.
Auerswald: Heute kann man doch keiner Frau mehr verkaufen, auf Pränataldiagnostik zu verzichten! Ich meine, wer Pränataldiagnostik und Präimplantationsdiagnostik moralisch in Frage stellt, der muss auch über 160.000 jährliche Abtreibungen aus sozialen Gründen reden.
Kurmann: Das finde ich nicht.
Auerswald: Das ist für mich ein knallharter Punkt. Ich sehe schließlich im Alltagsgeschäft, dass mehr als 50 Prozent der Frauen abtreiben, weil sie gesellschaftlichen Druck bekommen. Sprich: Freund, Mann, Lebensbegleiter wollen das Kind abgetrieben haben, das die Frau gerne hätte. Natürlich gibt es solchen Druck auch mit Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik. Aber wieso sollen PND oder PID deshalb nicht möglich sein? So unterschiedlich dürfen unsere moralischen Maßstäbe nicht sein.
Kurmann: Ich sehe das von der anderen Seite. Pränataldiagnostik ist schon jetzt ein Angebot, das neue Konflikte schafft, die keinesfalls zur Routine von Schwangerenvorsorge gehören sollten. Wenn dann auch noch die Präimplantationsdiagnostik kommt, wird sich der gesellschaftliche Druck auf die einzelne Frau erhöhen, ein möglicherweise krankes Kind abzutreiben. Dabei betone ich: Wir KritikerInnen der Pränataldiagnostik haben niemals das Recht auf Abtreibung als die Entscheidung einer einzelnen Frau in Frage gestellt.
Auerswald: Die Position, man müsse Ethik global sehen und dürfe sie nicht am Einzelfall ausrichten, tut mir als Ärztin richtig weh. Ich kenne doch die Fälle, in denen Einzelnen mit PID sehr schlimme Erfahrungen erspart bleiben könnten. Ich denke an muskelerkrankte Kinder, die früh gestorben sind oder an Fälle, wo die Schwangerschaft auf Probe gemacht wird – mit der Folge, dass ein Abbruch dann in der 13. oder 14. Woche stattfindet. Diesen Frauen kann es sehr helfen, mit In-Vitro-Fertilisation ein Ei befruchten und per PID untersuchen zu lassen.
Kurmann: Das klingt doch alles viel positiver, als es in Wirklichkeit ist. In-Vitro-Fertilisation ist eine enorme Belastung für ungewollt Kinderlose – sowohl in psychisch als auch in physischer Hinsicht. Und das bei einer mageren Erfolgsquote von maximal 20 Prozent.
Auerswald: Ob man das macht oder nicht, ist eine individuelle Entscheidung von Partnern. Wer sich der IVF aussetzt, tut das nicht leichtfertig, die Frauen werden über die Probleme aufgeklärt.
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Kurmann: Natürlich ist die Behandlung freiwillig – aber doch nur vor dem Hintergrund bestimmter Erwartungen.
Auerswald: Wollen Sie denn dann für andere entscheiden?
Kurmann: Nein. Aber Sie müssen zugeben, dass bei der Präimplantationsdiagnostik sehr stark damit argumentiert wird, dass Leid vermieden würde. Leidvermeidung, wenn es um ein sehr krankes Kind geht, das vielleicht sogar in jungen Jahren stirbt, oder Leidvermeidung durch eine der Schwangerschaft vorgeschaltete Diagnose, die den Schwangerschaftsabbruch vermeidet. Das trifft im Einzelfall vielleicht auch mal zu – aber nicht pauschal. Wir haben Kontakt mit vielen Selbsthilfegruppen wie beispielsweise Mukoviszidose e.V., die immer als Paradebeispiel der Leidenden genommen werden. Von denen wehren sich viele gegen diese Darstellung.
Auerswald: Und es gibt andere, die sagen, wir sind für PID. Warum muss man in Deutschland alles bis ins Letzte für andere regeln?
Kurmann: Es geht um Resourcenverteilung, darum, ob das Embryonenschutzgesetz geöffnet wird oder nicht. Das ist eine schwerwiegende Entscheidung, die man nicht einfach dem Individuum überlassen kann. Nichts spricht doch dafür, dass PID auf wenige Fälle begrenzt bleibt. Bei der PND ist das schon so, wer will, macht das. So wird es auch für die PID kommen, vor allem, wenn man der Logik folgt, dass es individuelles Leid zu verhindern gelte. Denn klar ist doch, wenn ich am Leid festmache, muss ich sagen: Das Leid der anderen Menschen kann ich letztlich nicht beurteilen – und also haben wir keine Indikation mehr. Innerhalb der Logik dieses Systems lässt sich die Entscheidungsfreiheit auch schwer begrenzen, weil man dann anfangen müsste zu diskriminieren, indem man festlegt: Das ist Behinderung, das ist Schwerstbehinderung, das darf selektiert werden und das nicht. Aber das verbietet sich von selbst; wir haben ein Anti-Diskriminierungsgesetz.
Auerswald: Wie können Sie denn damit leben, dass eine Frau nach einer Pränataldiagnostik eine Abtreibung machen lässt, weil sie erfahren hat, dass das Kind Trisomie 21 hätte? Die Frau entscheidet sich gegen dieses Kind. Ist das moralisch verwerflich? Die Frau hat für sich entschieden, dass sie mit diesem Kind nicht leben mag. Ich finde, das ist ihre Entscheidung.
Kurmann: Das finde ich auch. Und trotzdem ist es unmoralisch, wenn eine Gesellschaft eine Schwangerenvorsorge hat, in der ein Screening nach Down-Syndrom vorgesehen ist. Das Problem ist doch nicht die Entscheidung der Frau für den Schwangerschaftsabbruch.
Auerswald: Sie finden also diese ganze Diagnostik, auch wenn die Frau sie will, verwerflich?
Kurmann: Die Frage ist doch, ob diese Wünsche von einzelnen Paaren gesellschaftlich auch noch abgesegnet werden müssen – zumal sie Diskriminierungsängste bei Menschen wecken, die mit Krankheiten und Behinderungen leben. Dass das Embryonenschutzgesetz geändert werden müsste, hätte zudem die Folge, dass noch ganz andere Zugriffe auf diese Embryonen stattfinden werden. Ich sage: PID ist ein Mehr von der Problematik, die wir schon bei PND haben.
Auerswald: Ich sehe die PID als diagnostisches und therapeutisches Verfahren. Sie werden diese Gesellschaft nicht ändern. Allerdings ist für mich als Ärztin PID mental einfacher zu verkraften. Nehmen sie die Abtreibung, verboten aber straffrei – das hat doch keine Bedeutung. Und auch für den Fötus ist es völlig egal, ob er mittels Absaugung, Zerstückelung oder Ausschabung zu Tode gebracht wird. Das Ergebnis ist das Gleiche. Moralisch gibt es da keinen anderen Maßstab. Wir haben es mit einer Grundsatzentscheidung dieser Gesellschaft zu tun, zu der ich als Frau sage: Ja, die wollen wir so. Ich habe in meinem Beruf noch die „Engelmacherei“ und deren Folgen erlebt. Eine Petrischale ist dagegen eine saubere, klare Lösung. Im Zweifelsfall kippt man die Flüssigkeit weg. Das ist einfacher, als hinterher zu sagen: schwanger, na dann gucken wir mal in der 14. Woche.
Kurmann: Da haben Sie Recht. Unter der Maßgabe, dass wir sagen, wir nehmen Selektion vor, wird es mit PID sicher einfacher.
Auerswald: Wir nehmen damit Selektion vor. Ja. Aber ist es eine gesellschaftliche oder eine individuelle Entscheidung der Frau, die sagt, nein, mit diesem Kind nicht? Es ist doch eine echte Bußpredigerhaltung zum Thema Untergang der Moral, mit PID gleich diese ganzen Klongeschichten und das Forschen an Embyonen zu verknüpfen.
Kurmann: Aber das steht doch auf der Tagesordnung. Das kann man nicht ignorieren.
Auerswald: Wir werden uns dieser Entwicklung in Deutschland nicht verschließen können. Mein Standpunkt lautet: lieber zulassen. Außerdem können Sie PID nicht ohne PND diskutieren. Aber wenn PID zugelassen wird, dann bitte streng reguliert, damit das, was Sie befürchten, nicht passiert.
Kurmann: Ich fürchte es nicht nur, wir haben doch schon die Erfahrung mit der Pränataldiagnostik. Wobei es natürlich etwas anderes ist, ob die Embryonen außerhalb der Frau zur Verfügung stehen oder ob sie schwanger ist. Ich kann Einzelfälle nachvollziehen – auch als Vertreterin eines Behindertenverbandes. Wir wissen, was ein behindertes Kind für eine Familie bedeuten kann. Aber wir meinen, dass dieses Leiden einer kleinen Minderheit von Menschen nicht der Grund sein kann, dieses Embryonenschutzgesetz zu ändern. So individuell darf hier nicht argumentiert werden. Außerdem werden ganz andere Leiden dabei ausgeblendet – die der Frauen beispielsweise, die mit In-vitro-Fertilisation keine Erfolge haben. Oder von Frauen, die sich unter Druck gesetzt fühlen. Leidvermeidung gibt es doch nicht umsonst. Ich meine, dass PID nicht zugelassen werden darf. Zu diesem Zeitpunkt herrscht noch zuviel Unklarheit – und sogar die Expertenanhörung der Enquetekommission „Recht und Ethik“ der Medizin hat ergeben, dass mehr gegen die Zulassung von PID spricht, als dafür.
Auerswald: Ich bin absolute Befürworterin von PID und bleibe auch dabei. Ich sehe die Vorteile für die Betroffenen. Und ich finde an dieser moralischen Debatte vieles fragwürdig. Sie können als Mahnmal in dieser Gesellschaft stehen und um Sie herum brodeln die Brandungswellen, Sie werden es trotzdem nicht verhindern.
Aufgezeichnet von Eva Rhode
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