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: Fußballgott im Gruselkabinett

Dracula vernascht van Helsing

Der heimtückischste Satz des letzten Spieltages der Bundesliga-Saison war im Aktuellen Sportstudio des ZDF zu bewundern. Als anlässlich des Berichts vom Spiel Frankfurt-Stuttgart in Großaufnahme zu sehen war, wie der VfB-Coach Felix Magath seinen Platz auf der Bank einnahm, wurde unten die Zeile eingeblendet: „ ,Der Psychopath‘ kommt etwa gegen 23.45 Uhr“. Das war gelogen. Der Psychopath war längst da. Hauptberuflich ist er Fußballgott und hat die gerade abgelaufene Saison minutiös durchgeplant.

An ein „Gruselkabinett“ fühlte sich Bayern-Manager Uli Hoeneß nach der Last-Minute-Meisterschaft der Münchner erinnert und schien gar nicht zu merken, dass er mit dieser Charakterisierung eines absurden Endes einer absurden Saison sein eigenes Team gerade zu Frankensteins Monster und Graf Dracula gleichzeitig gestempelt hatte. Gegruselt hatte sich jedenfalls auch sein Schalker Kollege Rudi Assauer, obwohl der doch die ganze Spielzeit über tapfer den nüchternen Doktor van Helsing gegeben hatte. An einen Fußballgott glaube er nun nicht mehr, ließ er wissen, Schalke-Spieler Gerald Asamoah hingegen vertrat wie auch Bayern-Keeper Oliver Kahn die Theorie, der Allmächtige des runden Leders sei ein Bayer. Alles Quatsch! Ein Psychopath ist er! Basta!

Nur ein durch und durch krankes Schöpferhirn kann sich zum Beispiel eine derart perfide Art ausdenken, einen Meisterschaftskandidaten los zu werden, wie die in Leverkusen praktizierte. Erst Daum rausschnupfen und dann Berti installieren, gruseliger geht’s nimmer. Und schließlich, als Gipfel der Abgefeimtheit, mittels Fußspitze von Keeper Juric gegen Bochum gerade noch den Absturz in den Uefa-Cup verhindern, damit gleichzeitig die Altlast Vogts stützen und der Berliner Hertha 40 Millionen aus der Kasse stibitzen, das ist der helle Wahn. So hat Bayers Reiner „Fat Freddie Krueger“ Calmund erst mal weiter den ewigen Wiedergänger Berti am Hals, und in Berlin muss sich Coach Jürgen Röber mit dem Polit-Zombie Rupert Scholz herumschlagen, der den Hertha-Aufsichtsrat beharrlich zur Stammtischrunde degradiert.

Genial boshaft auch, wie die Dortmunder Borussia, als kopfloser Reiter gleichsam, immer wieder gerade so am Hinterteil der Schalker schnuppern durfte und doch nie ran kam. Obwohl der BVB doch inzwischen mit Matthias „Karloff“ Sammer einen Trainer gefunden hat, der die caligarihaften Experimente des Präsidiums beendete und so etwas wie ein Konzept installiert hat, auch wenn dafür fast das gesamte Familiensilber draufging.

Oder der VfB Stuttgart. Endlich Gerhard „The Mummy“ Mayer-Vorfelder losgeworden und trotzdem fast abgestiegen. Der Fluch der Mumie lässt sich eben so leicht nicht bannen.

Das Meisterstück fußballgöttlicher Vorsehung war jedoch zweifelsohne, wie mit all jenen kleingeistigen Vereinsvertretern umgesprungen wurde, welche die gesamte Saison damit verbracht haben, trotz bester Voraussetzungen nicht Meister werden zu wollen. Diese tatsächlich nicht Meister werden zu lassen, das war ein Plan, der der finsteren Seele eines Mabuse entsprungen sein könnte. Statt dessen dem Fußballvolk schon wieder die Bayern reinzuwürgen, ihm den Freudenamok eines Kahn, den backpfeifengesichtigen Triumph eines Effenberg und – Gipfel des Horrors – den abgedroschensten aller Running Gags, die Weißbierdusche, zuzumuten –, das war ebenso hinterhältig wie verrückt.

Und dies alles nicht etwa auf die simple althergebrachte Art, nach der es lange aussah: mit einem kläglichen 0:0, welches die jämmerliche Abwehrschlacht, mit der die Bayern sich am Ende einer für sie hochpeinlichen Bundesligasaison an ihren einen meisterschaftsbringenden Punkt klammerten, sozusagen auf den Punkt gebracht hätte. Statt dessen Tor und Gegentor im Minutentakt, der Hamburger SV erst als königsblauer Racheengel, dann als fußballerische Variante von Dick und Doof, rückpasszugewandt und dilettantisch hochhopsend beim indirekten Freistoß. Dazu die gleichzeitige halluzinative Verblendung eines ganzen Stadions in Gelsenkirchen. Stephen King hätte es nicht besser hinkriegen können.

Und die Moral von der Geschicht: Das Böse siegt auf der ganzen Linie. Meister wird nur, wer auch Meister werden will. Fortuna (siehe Interview auf Seite 17) ist eine Schelmin. Und natürlich: Der Fußballgott ist, mit Verlaub, ein Arschloch. Wir sind gespannt, was er sich für das Champions-League-Finale am Mittwoch ausgedacht hat.

MATTI LIESKE