Kein schlimmer Land in dieser Zeit

Zum Erbrechen: Der Sieg des FC Bayern bestärkt die Hochmütigen aus Fürstenfeldbruck, Emmering und Umgebung

OUT Wenn mir die Leute dieser Tage eine kleine Freunde bereiten wollen, dann begrüßen sie mich mitten in Berlin mit einem herzlichen „Grüß Gott!“, denn ich sei doch ein Bayer und da müsse ich mich doch ganz schrecklich freuen über die großartigen Siege des FC Bayern München. Ich freue mich nicht.

Ich bin kein Bayer. Zwar bin ich nach Artikel 6 (1) der Bayerischen Verfassung („Einbürgerung“) durchaus berechtigt, mich Bayer zu nennen: Meine Mutter stammt von da, und lange genug habe ich selbst da gelebt – die Geburt in Freiburg war ein Zufall. Ein echter, ein „waschechter“ Bayer werde ich jedoch niemals sein, denn den echten Bayern macht allein die Geburt in Bayern und die Abstammung von in Bayern Gebürtigen. Es ist diese Abgrenzung, die Bayern überhaupt erst möglich macht. Deshalb sind in München Türsteher nach wie vor so beliebt. Das Blut bleib rein, und so soll es bleiben. Es gibt nur Bayern und Preußen (bzw. „Preißn“), sonst nichts.

Ich bin ein Bayer. Natürlich bin ich ein Bayer. Bayern ist meine Heimat. Es gibt kaum eine schönere Abendbeschäftigung, als mit drei Freunden auf dem oberbayerischen Emmeringer Gut Roggenstein zu sitzen und eine Runde Schafkopf zu spielen. Es gibt keine größere Beruhigung als den Blick auf einen schönen See, auf die Alpen bei Föhn, auf ein frisch eingeschenktes Weißbier. Es gibt keine schönere, dem Gemütszustand entsprechendere Sprache als den bairischen Dialekt: Einfach „Schleich di“ sagen, wenn einer verschwinden soll. „Servas!“ zur Begrüßung und zum Abschied. „Bier!“ – Bier kommt. Kein Wort zu viel. Zufriedenheit. Gemütlichkeit. Und doch: Widerwille.

Ich will kein Bayer sein. Wenn ich mal Heimweh habe, dann muss ich nur den Fernseher einschalten, und alles ist wieder gut. Als sich eine gewisse 30-jährige Sabine anschickte, in das Sat.1-„Girlscamp“ einzuziehen, war ich Zeuge. Ihre besondere Qualifikation war erstens ihre Liebe zu „bayerischer Volksmusik“ (gemeint war volkstümliche Musik) und zweitens ihre Liebe zur bayerischen Kochkunst ihrer Mutter. Die Eltern saßen im Studio: die Mutter in einem bunt bestickten Dirndl, der Vater in ebensolchen Lederhosen. Das Paar schien der Fantasie Walt Disneys entsprungen. „Schau“, jauchzte eine aus Argentinien stammende Freundin, „da sind Bayern. Das sind deine Leute!“ Ich schämte mich.

Dabei sind die medial inflationär präsentierten Dumpfbayern gar nicht so schlimm. Schlimm sind solche Bayern wie jener Mitarbeiter des Bayerischen Rundfunks, der sich grundsätzlich nur mit Weißbierglas in der Hand ablichten lässt. Schlimm sind solche Bayern wie jener Redaktionsleiter in einer großen süddeutschen Zeitung, der nach der Niederlage des FC Bayern München gegen Manchester United 1999 tagelang mit wässrigen Augen durch die Büros schlich. Schlecht ging es ihm. Viel lieber hätte er an jenem denkwürdigen Abend im Müncher Großarschlöcher-Treffpunkt „Schumanns“ viele Bussis ausgetauscht und Weißbiere gesoffen. Schlimm sind solche Bayern wie jener Uli, den ich wohl oder übel wieder treffen werde, wenn ich nächstes Jahr zum zehnjährigen Abiturtreffen ins oberbayerische Fürstenfeldbruck fahre. Er wird mich wohl – wie beim letzten Mal – mit den Worten „Bist immer noch derselbe Jude wie früher!“ begrüßen. Wobei er Antisemitismus natürlich weit von sich weist. Nicht zu Ulis Entschuldigung, nur ergänzend sei vorgebracht, dass auch „Du Hoeneß!“ in der Gegend um Fürstenfeldbruck eine durchaus geläufige Beschimpfung ist (wegen seines Versagens im EM-Finale 1976).

Die schlimmsten Bayern sind jedoch jene, die sich all dieser Hirnlosen bedienen, die sie füttern mit Klischees und dem Bewusstsein, dass ihnen die herrliche bayerische Landschaft nicht nur persönlich gehört, sondern dass sie diese auch höchstpersönlich erfunden haben. Jene Bayern, die sich fremdenfeindlicher Sprüche bedienen und dabei weltoffen tun, jene, die jedem ungefragt erklären müssen, wie man korrekt eine Weißwurst zu verzehren hat, jene, die den Deppen nach dem Mund reden, damit sie nur an der Macht bleiben können: die von der CSU.

Und wenn sie sich jetzt angesichts der Erfolge des FC Bayern gegenseitig auf die Schulter klopfen und sich suhlen in ihrem Stolz auf sich selbst, dann wünsche ich nur eines: Das Weißbier, das sie in großen Mengen in ihre Münder gießen, möge ihnen zu beiden Ohren herausquellen. Wahlweise dürfen sie sich auch in hohem Bogen in die wunderschöne bayerische Landschaft erbrechen.IN

Der Fuaßboi g’hert ins Tor

vom FC Bayern nei,

und die Münchner Löwen,

de g’hern am Letschnbräu.

De Dosen g’hern verboten,

de Flaschen g’hern entkorkt,

der Müll, der g’hert reseikelt

der Goppel g’hert entsorgt.

(Biermösl Blosn,

„Was sich g’hert“)

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