Es geht auch ohne Flugzeughangar

■ Das 12. Bremer Musikfest im September bietet trotz kleineren Etats alles, was das ästhetische Herz begehrt – allein am ersten Abend schon 21 Konzerte

Eine Million weniger, das ist keine Kleinigkeit. Doch das Musikfest schafft es auch mit seinem diesjährigen 4,2-Millionen-Etat, Bremen zum Klingen bringen. Zwischen 1. September und 1. Oktober werden 700 KünstlerInnen an 14 Aufführungsorten 43 Konzerte geben, denen 22.000 Menschen lauschen können.

Die traditionelle Drittel-Finanzierung des Festivals ist dabei etwas aus dem Gleichgewicht geraten: Die Sponsorengelder stellen nunmehr den größten Batzen dar, 1,6 Millionen kommen vom Wirtschaftssenator, die Eintrittsgelder hingegen werfen dieses Jahr weniger als im letzten ab. Umgekehrt ausgedrückt: Die BesucherInnen können sich über gemäßigte Preise freuen – Ausnahmen bestätigen die Regel.

Pressesprecher Carsten Preisler: „Wir haben dieses Jahr nicht so aufwändige Spielstätten wie 2000 den Flugzeughangar, dafür ist das Festival auch weniger elitär.“ Musikfestintendant Thomas Albert und Geschäftsführerin Ilona Schmiel halten durchaus an der Linie der großen Namen fest, haben sich aber auch etwas einfallen lassen, um auf das Publikum zuzugehen: So entfaltet sich am ersten Tag in der gesamten Innenstadt „Eine große Nachtmusik“. Im Dom, in der Glocke, in Unser Lieben Frauen, im Rathaus und als neu erschlossene Räume im Innenhof des Landgerichtes, im Haus der Bürgerschaft und im Schütting werden jeweils um 19.30, um 21 Uhr und um 22.30 Konzerte stattfinden: Drei Konzerte mal sieben Aufführungsorte, das macht 21 (einstündige) Konzerte an einem Abend. Karten kosten 100 Mark (ermäßigt 75), dafür kann man sich tummeln, wo und wie man will: Das Hilliard-Ensemble spielt, Jan Gabarek kommt, die Deutsche Kammerphilharmonie ist dabei. Die Räume sollen auch besonders illuminiert werden, aber „das wird jetzt noch nicht verraten, damit die Küster keinen Schreck kriegen“, so Intendant Albert. Danach wird im Hof der Hochschule für Künste gefeiert. So ist also am ersten Abend schon die Hälfe der Konzerte vorbei.

In der zweiten Hälfte werden viele alte Bekannte werden kommen, deren Namen bereits beim Lesen des Programms heftige Vorfreude auslösen: zum Beispiel das Orchester „Anima Eterna“ unter der Leitung von Jos van Immerseel. So sensationell und unvergessen sind deren Schubert- und Beethoveninterpretationen, dass sich sicher für Mozarts letzte drei Sinfonien, die Immerseel diesmal nach Bremen mitbringt, ein vergleichbares Niveau herstellen läßt. Oder der Pianist András Schiff, der seinen aufregenden Mozartstil in drei „Mozartiaden“ seltener Kammermusik zur Verfügung stellte und dieses Konzept nun mit Kammermusik von Beethoven versuchen wird. Oder das „Orchestra of the Age of Enlightenment“ unter Roger Norrinton, der einer der konsequentesten Dirigenten hinsichtlich der zeitlichen Ausweitung des Repertoires der historischen Aufführungspraxis ist: Man darf gespannt sein, wie er Mahlers erste Sinfonie interpretieren wird.

Sorgfältig sind auch die eher experimentellen Programme zusammengestellt worden, die das Hören neu schärfen: so das Programm „Vermächtnisse“ des Balthasar-Neumann-Chores unter der Leitung von Detlef Bratschke. In die „Messe für zwei vierstimmige Chöre“ von Frank Martin montiert Bratschke Werke von Perotin bis Ligeti, eine Konzeption, die extrem dazu angetan ist, Erwartungen zu unterlaufen und neue Hörerfahrungen zu machen. Zum 50. Todestag von Arnold Schönberg wird das Arnold-Quartett auftreten, wozu Jutta Lampe und Peter Stein Texte von Schönberg und Alma Mahler-Werfel lesen werden. Wie immer gibt es auch für die Kinder was: diesmal „Jahreszeiten al dente“, also Vivaldi für Kinder, was sich das Merlin-Ensemble aus Wien ausgedacht hat.

Mitreißende Leckerbissen gibt's auch für die leichtere Muse: als Deutschlandpremiere die neapolitanische Show „Cuore mio“ mit dem Ensemble Lina Sastri – die „Anna Magnani des Chansons“ (Thomas Albert) – und Südamerikanische Musik vom auch hier schon wiederholt aufgetretenen Paquito d'Rivera-Quintett. Zwei Debuts werden in Bremerhaven geboten: das Ensemble „Nachtmusique“ und die Geigerin Leila Josefowicz.

Einen besonders kostenträchtigen Höhepunkt leistet sich das Festival aber auch in diesem Jahr: Jessye Norman gibt ihr einziges diesjähriges Deutschland-Konzert beim Musikfest: Sie singt Schuberts „Winterreise“. Alles in allem: viele Namen, viel Innovatives, viel Überraschendes – viel Vorfreude.

Ute Schalz-Laurenze, HB