Das Auge schimmert blau

Beim 2:2 gegen Finnland kommen die deutschen Nationalkicker noch einmal mit dem Schrecken davon, lassen aber erkennen, dass ihnen zur Weltklasse nach wie vor ein gutes Stück fehlt

von FRANK KETTERER

Dass sich alles doch noch irgendwie gut ausgehen würde, zumindest einigermaßen, konnte man erstmals kurz nach der Pause erahnen: In Spielminute 50 war es, als Mikael Forssell wieder einmal in das Revier von Oliver Kahn eindrang – und erneut sah es verdammt gefährlich aus, wie der blonde Finne aufs Tor der Deutschen zustürmte. Gleich würde ihn kein deutscher Abwehrspieler mehr am neuerlichen Torschuss hindern können und gleich würde Forssell genau das nutzen zu seinem dritten Treffer in diesem Spiel. Nur Kahn, diesen teutonischen Hünen, galt es noch zu umspielen – und genau dabei ist es dann passiert: Forssell verlor für einen Moment die Kontrolle über das Spielgerät und bekam bei all der Aufregung, sie wieder zu finden, nicht mit, dass aus dem Hintergrund Kollege Joonas Kolkka zu Hilfe geeilt kam. Kolkka war zur Stelle, drosch mächtig gegen das Leder – und schoss doch nur seinen Kameraden an, der nicht flott genug hatte flüchten können vor dem neuerlichen Torschuss.

Also stand es weiterhin 2:0 für Finnland im Olympiastadion zu Helsinki und man konnte sich irgendwie denken, wie es noch kommen würde: Zuerst würde Carsten Jancker einen Elfmeter schinden und ihn durch Michael Ballack verwandeln lassen (69.), dann, nur drei Minuten später, würde der Bayern-Stürmer selbst aus der Distanz ins Tornetz treffen und das Spiel schließlich 2:2 für Deutschland enden anstatt mit jenem 4:0 für die Finnen, das Kahn bereits hatte aufziehen sehen. „Wenn wir das 0:3 fangen, ist hier Feierabend und wir kriegen vier Stück“, erinnerte sich der deutsche Keeper später an Minute 50. Und auch Rudi Völler, der Teamchef, hatte keine andere Sicht der Dinge: „Die Finnen können das 3:0 machen. Deshalb müssen wir mit dem 2:2 zufrieden sein.“

So war der deutsche Fußballtross gerade noch mal mit dem Schrecken davongekommen, mit einem blauen Auge quasi. Und wie bei einem Boxer, der sich ein Veilchen schlagen lässt, war es auch bei der deutschen Mannschaft vor allem und etwas überraschend die Deckung, die versagt hatte. „Die Defensive war nicht ganz so in der Verfassung, wie ich das gerne gehabt hätte“, verklausulierte Rudi Völler diese Tatsache in der ihm eigenen Art des Gutmenschen, „Faden und Kopf“ habe man hinten bisweilen verloren, gab der Teamchef freilich schon zu. Dass dabei ausgerechnet einer der sonst Zuverlässigsten im DFB-Dress ins Zentrum der Kritik rückte, war nahezu unvermeidbar. „Jens hat heute nicht so gespielt, wie wir ihn kennen“, beurteilte Völler die Leistung von Abwehrchef Nowotny, derweil Marco Rehmer, rechtes Glied der wackeligen Dreierkette, sich Kritik übers eigenen Haupt goss: „Wir hatten Probleme in der Mitte und haben außen nicht zugemacht.“

So kann man das sehen. Sagen hätte man zudem können, dass der Druck der Finnen auch deshalb so ungedämpft auf die deutsche Abwehr prallte, weil es davor keinen Puffer gab, der ihn abgemindert hätte. Aus dem Mittelfeld jagte Finnlands Spielmacher Jari Litmanen nahezu unbedrängt jene Bälle auf die flinken Spitzen, die Nowotny und Kollegen immer wieder in Verzweiflung stürzten. Dort, im Mittelfeld, war es, mindestens so sehr wie in der Abwehr, wo die Deutschen dieses Spiel beinahe verloren hätten, weil über weite Phasen Vakuum herrschte, wo eigentlich Kreativität für Spielwitz und Ideen hätte sorgen sollen. So wurden Sebastian Deisler (gesperrt) und Mehmet Scholl (verletzt) in der Zentralen doch mehr vermisst als nach dem gelungenen Test letzten Dienstag gegen die Slowakei noch erwartet, ihre Stellvertreter jedenfalls blieben erneut den Beweis schuldig, hochklassige Leistung auch dann abrufen zu können, wenn es ans Eingemachte geht. „Er ist erst in der zweiten Halbzeit aufgewacht“, rüffelte Völler beispielsweise Michael Ballack, Lars Ricken formulierte seinen Beitrag zum Spiel gleich selbst und schonungslos offen, auch wenn der Dortmunder, der das Spielfeld als „zu breit und lang“ empfand, seine Worte etwas anders gemeint haben dürfte, als er sie letztendlich ins Off jagte: „Ich habe meinen Teil dazu beigetragen, dass wir hier unentschieden gespielt haben.“ Wohl wahr und nur gut, dass am Mittwoch der Berliner Deisler wieder mitwirken darf.

Vielleicht ist es ja ganz gut so, dass sie einen vor den Latz bekommen haben, gerade in Tagen, in denen der Deutsche seinen Fußball schon wieder der Weltklasse zugehörig wähnte. Und wirklich passiert ist ja nichts in der WM-Qualifikationsgruppe neun, in der die DFB-Kicker nach wie vor so deutlich führen, noch nicht. Am Mittwoch geht’s für Kahn und Co. in Tirana gegen Albanien weiter. „Am Mittwoch müssen wir gewinnen“, sagt Kahn. „Sonst wird’s eng.“