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„Offenbart euch uns!“

Führende Neonazis reagieren auf die staatlichen Aussteigerprogramme: Sie locken Spitzel des Verfassungsschutzes mit einem eigenen „Ausstiegsangebot“. Eine listige Mischung aus Drohung und Vergebung soll die V-Leute zum Auspacken bewegen

von LUKAS WALLRAFF

In Köln gibt man sich gelassen. Der eindringliche Aufruf zur Geschlossenheit, den führende Neonazis gerade im Internet veröffentlicht haben, ist für den Sprecher des Bundesamts für Verfassungsschutz nur „ein Disziplinierungsversuch mit untauglichen Methoden“. Annetta Kahane ist sich da nicht so sicher. Die Berliner Rechtsextremismus-Expertin sagte gestern der taz: „Wer Neonazis Intelligenz und Ironie abspricht, der unterschätzt sie.“

Der Text, um den es geht, ist „Unser Ausstiegsangebot“, das die beiden Neonazi-Anführer Christian Worch und Steffen Hupka ins Netz gestellt haben. Damit drehen sie den Spieß um. Auf das Aussteigerprogramm der Regierung folgt das Anti-Aussteigerprogramm der Rechten. Von den Spitzeln in den eigenen Reihen, die noch mit dem Verfassungsschutz zusammenarbeiten, fordern Worch und Hupka: „Steigt aus! Steigt aus aus der Verstrickung mit dem VS (oder BND oder MAD). Offenbart euch uns! Legt von euch aus die Karten auf den Tisch, bevor das Amt euch fallen lässt.“

Offenbar nervös geworden durch die Enttarnung des Thüringer NPD-Vizes Tino Brandt als V-Mann und weitere Enthüllungen, die „auf uns zukommen“, versuchen Worch und Hupka mit einer Mischung aus Drohungen und Versöhnungsangeboten, die eigenen Gefolgsleute bei der Stange zu halten. „Wir, die Unterzeichner, sind in begründeten Einzelfällen bereit, den vormaligen Spitzel zu rehabilitieren, zu amnestieren.“ Die Bedingungen sind streng: Wer gnädig behandelt werden will, muss „sich selbst offenbaren“ und „minutiös alles offenbaren, was er dem Amt jemals erzählt hat“.

Nur wer sich ganz und gar offenbart, darf darauf hoffen, in der Szene nicht „von heute auf morgen unten durch zu sein. Was für viele wohl eine schlimmere Strafe ist, als wenn sie verprügelt oder gar erschlagen werden.“

Um die Aufrichtigkeit der „VS-Aussteiger“ überprüfen zu können, verlangen Worch und Hupka von dem reuigen Sünder nicht nur „Erklärungen an Eides Statt“, sondern auch, sich „einem freiwilligen Test mit dem Lügendetektor (Polygraphen) zu unterziehen“. An diesem Punkt kann der Sprecher des Verfassungsschutzes nur noch lachen: „Das ist alles Quatsch. Ein Lügendetektor ist nicht so leicht zu bekommen und man muss wissen, wie man damit umgeht. Das können sie nicht.“ Das ganze Pamphlet zeige „nur die eigene Verunsicherung“ der rechten Kader.

Für Annetta Kahane ist der Text dagegen „kein Zeichen von Schwäche“, sondern eher von Handlungsfähigkeit: „Sie machen ein eigenes Angebot, statt die staatlichen Angebote zu verschweigen.“ In dem Aufruf sieht Kahane einen Versuch der rechten Kameradschaften, vor dem Hintergrund des NPD-Verbotsantrags „die Reihen zu sortieren“.

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