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Blondes Gift mit warmer Stimme

■ Bremerhavens Stadttheater serviert zum Saisonende ein Experiment, das die Reise wert ist: zwei Einakter von Zemlinsky

Mindestens einmal im Jahr beweisen die Bremerhavener in ihrem Musentempel Mut. Dann verzichten sie darauf, im Großen Saal des Stadttheaters das Bekannte und Beliebte anzubieten, und stürzen sich stattdessen auf's Experiment. Das Ergebnis ist in diesem Jahr so außergewöhnlich gelungen, dass man den Bremern guten Gewissens empfehlen kann, für einen Opernabend nach Bremerhaven zu kommen.

Zwar erlebt der Komponist Alexander Zemlinsky seit Anfang der 80er Jahre eine regelrechte Renaissance, und die Neuinszenierung der beiden Kurzopern „Eine florentinische Tragödie“ und „Der Zwerg“ durch Adolf Dresen in Hamburg hat entscheidend dazu beigetragen. Dennoch stehen die beiden Einakter selten auf dem Spielplan, und es gibt selten die Möglichkeit, die Bandbreite der Tonmalerei des Wiener Komponisten und Schönberg-Lehrers mitzubekommen.

Die junge Gastregisseurin Jasmin Solfaghari zeichnet mit Fingerspitzengefühl die subtilen Spannungen, die in der „Florentinischen Tragödie“ – nach einem Schauspiel von Oscar Wilde – zwischen zwei Männern und einer Frau ausgetragen werden. Es ist eine Dreiecksgeschichte mit tödlichem Ausgang, in der der Stoffhändler Simone (ausgezeichnet: Oscar Quezada) den Liebhaber seiner Frau, den Prinzen Guido Bardi (Christoph Kayser) umbringt. Im Mittelpunkt steht aber nicht der Mord, sondern die unausgesprochene Spannung zwischen den dreien, die mit beiläufigen Gesten und Blicken und Haltungen beginnt, bis sie zum blutigen Zweikampf auswächst.

Solfaghari setzt jede Geste und jeden Blick genau, ohne in Klischee und Pathos zu verfallen. Die Handlung verlegt sie aus der florentinischen Renaissance in ein kühl-elegantes Hitchcock-Ambiente mit zwei Ebenen, Ladenraum und Keller. Stephan Tetzlaff, neuer Generalmusikdirektor seit Beginn der Spielzeit, hat das Orchester inzwischen nicht nur im Griff, er schreibt ihm zunehmend seine eigene Handschrift ein. So klangschön, so geschmeidig, so präsent von Anfang an, auch so ausgefeilt in den Nuancen, waren die Musiker selten zu hören. Vielleicht liegt das auch an der Musik. Zemlinsky – schrieb ein Kritiker 1917 – breite ein „glutvolles Tongemälde“ aus. Es ist ein durchgehender musikalischer Fluss, spätromantisch-expressionistisch eingefärbt, zunehmend dunkel in der spannungsgeladenen Dreiecksgeschichte, sehr viel heller am Anfang der zweiten – 1922 uraufgeführten – Kurzoper „Der Zwerg“.

Katarzyna Kuncio, in der ersten Oper als Simones Frau Bianca das blonde Gift (mit angenehm warmer Stimme), ist hier eine der girliehaft tuschelnden Zofen der Infantin, die zum 18. Geburtstag mit einem hässlichen Zwerg beschenkt wird. Die Bühne ist in helle Farben getaucht, die Kleider sind bunt, aber in die vordergründig idyllische Musik mischen sich andere Klänge, sobald der Zwerg auftritt. Er weiß nicht, wie er aussieht, bis er sich im Spiegel des Festzelts erblickt und zusammenbricht. Die Prinzessin hatte ihn als Spielzeug betrachtet. „Tot“, sagt sie zu der mitleidigen Kammerzofe (Daniela Stuckstette), „ich gehe jetzt tanzen.“ Mit anrührender Intensität spielt und singt Tadeusz Galczuk vom verzweifelten Liebesverlangen des hässlichen Zwergs, souverän beherrscht Zoya Zheleva als Infantin die kalte Virtuosität ihrer Partie. Bremerhavens Stadttheater hat einen meisterlichen Opernabend anzubieten. Ein Wagnis, das sich sehen und hören lassen kann. Hans Happel

Weitere Aufführungen: heute, Donnerstag, sowie am 23., 26. und 29. Juni, 20 Uhr.

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