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In Schönheit sterben

Fluch und Segen der Unfehlbarkeit: Radiohead wandeln auf schmalem Grat zwischen Autismus und Kunstanspruch. Ihre neue Grübelvorlage „Amnesiac“ weist zielsicher ins musikalische Nirgendwo

von ARNO FRANK

Dolby hin, Dolby her – zu den trägsten aller Tonträger gehört fraglos die klassische Kassette, das unbeschriftete Tape. Wo ablenkendes Artwork fehlt, bleibt Musik die einzige Grübelvorlage. Und weil 90 Minuten eine sehr beschränkte Zeit sind, lappt die neue Radiohead ein gutes Stück auf die zweite Seite der Kassette – wo sie sich ganz eng an eine ganz andere Neuerscheinung kuscheln muss, die uns ein Freund freundlicherweise überspielt hat. Spulen statt Zappen. Kein Entkommen also bei einem Album, das mit den nervösen Erwartungen dermaßen Achterbahn fährt wie „Amnesiac“.

„Amnesiac“ ist eigentlich der Nachfolger von „Kid A“, dem Nachfolger von „OK Computer“, dem Nachfolger von „The Bends“ – was Radiohead auch anpackten, stets mussten sie sich am vorausgegangenen Album messen lassen. Und stets sind sie übers Ziel hinausgeschossen. Kann sein, dass sie mit „Amnesiac“ im Nirgendwo gelandet sind. Die Platte entspringt derselben Session wie „Kid A“ – und klingt daher wie die verspätete Hälfte eines Doppelalbums. Das freilich keines sein will, weil Doppelalben uncool, out und tot sind, Radiohead dagegen cool, in und recht lebendig.

Scharnier zwischen den beiden Platten ist das Stück „Morning Bell“. Auf „Kid A“ noch mit einem treibenden Rhythmus unterlegt, ist es auf „Amnesiac“ als musikalische Rokokokapelle renoviert worden, verträumt, weich, manieriert. Das lässt sich zwar auf die ganze Platte extrapolieren, trifft’s aber nicht ganz. War „Kid A“ ein gebellter Befehl, so klingt „Amnesiac“ wie seine schmeichelnde, erläuternde Wiederholung.

Die Gruppe hat sich inzwischen einen Status erarbeitet, der ihr Fluch und Segen zugleich sein muss. Segen, weil Radiohead wohl weit gehend machen können, was sie wollen. Und Fluch, weil diese Freiheit allenthalben mit Verweigerung konterkariert werden muss, um den unvermeidlichen backlash aufzuhalten. Selbst seine Stimme hat Thom Yorke zurückgenommen, digitalisiert, gefiltert. Auf „Like Spinning Plates“ etwa, einem Song mit höchst eigentümlicher Schlagseite, wurde der Text rückwärts eingesungen und vorwärts wieder abgespielt. Die Rechnung scheint aufzugehen: Hartnäckig hält sich die Single „Pyramid Song“ in den britischen Top Ten, wo sie auch beim allerbesten Willen nicht hingehört. Selbst die bissige Fachzeitung NME überschlug sich förmlich vor Entzücken, weil Thom Yorke sich erstmals seit vier Jahren zu einem – absolut nichts sagenden – Interview herabließ.

Was daran liegen mag, dass in Britannien große, charismatische Bands allmählich knapp werden, die Ressourcen des Britpop-Booms aufgebraucht sind. Als Oasis ihr Pulver verschossen hatten, wurden sie einfach nur lauter – um die Leere zu übertönen. The Verve machten Feierabend, bevor ihnen die Ideen anderer Leute ausgehen konnten. Geld wird derweil mit unbeschwert aufspielenden Gruppen wie Toploader oder Coldplay verdient, die weniger Ballast mit sich herumschleppen.

Ein Ballast, der Künstler wie Radiohead oder Blur ins akademische Rettungsboot zwingt, wo mit elektronischen Sperenzchen und Strukturen der Rock neu erfunden werden soll. Dass damit meist ein verdeckter Kunstanspruch verbunden sein muss, ist ein weit verbreitetes Missverständnis. Nicht alles, was uns ratlos hinterlässt, ist zwangsläufig mit sublimer Bedeutung aufgeladen. Und wer den Dingen allzu offen gegenübersteht, könnte unter Umständen auch einfach nicht mehr ganz dicht sein. Aber wer wollte das entscheiden?

Der Grat ist jedenfalls extrem schmal, von dem Radiohead demnächst abstürzen werden. Bei einem so anspruchsvollen, autistischen, versteckten Album wie „Amnesiac“ tippen wir mal darauf, dass sie in Schönheit sterben werden. Nicht der schlechteste Tod, wenn wir uns die andere Seite der Kassette anhören: Dort schwurbelt „Zoom“, das neue Album von E.L.O.

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