: „Grübelzwänge und Ängste“
■ Die Geschichte eines Mobbing-Opfers / Morgen diskutieren Fachleute, was Politik und Justiz gegen Rausekelei tun können
orst-Günter Schröder ist ein Opfer von Mobbing. Er leidet unter Hautausschlag und Depressionen. Laut ärztlicher Gutachten sind sie die Folge jahrelanger Schikane durch seinen Arbeitgeber, die HUK Coburg Versicherung. Die sieht das ganz anders. „Herr Schröder hat Recht. Und wenn Herr Schröder kein Recht hat, dann hat er trotzdem Recht.“ Für Jürgen Fricke ist Herr Schröder ein „armer, kranker Mensch“. Jürgen Fricke leitet für die Versicherung die Schadensaußenstelle in Bremen. Horst-Günter Schröder ist in seiner Abteilung Versicherungsfachmann. Auf dem Papier. Denn der Mann ist seit zehn Jahren erwerbsunfähig und Rentner, mit gerade mal 50. Doch inzwischen ist sein Hautausschlag zurückgegangen – zwei Ärzte bestätigen ihm, dass er zumindest probeweise wieder arbeiten kann. Die HUK aber will Schröder keine Chance mehr geben, wegen „unheilbarer Zerrüttung“ des Arbeitsverhältnisses.
Was den Versicherungsangestellten krank gemacht hat, begann vor 20 Jahren: Schröder engagierte sich für die Wahl eines Betriebsrates und ließ sich als Kandidat aufstellen. Von da an, so berichtet er, wird er schikaniert. So muss er seinen Arbeitsplatz räumen und hat in der Nähe des Abteilungsleiters zu arbeiten, um unter Beobachtung zu sein. MitarbeiterInnen sollten ihn auf Anweisung Frickes bespitzeln. „Der Kollege S. spinne wohl und wolle einen Betriebsrat gründen, er gehöre ab sofort mehr unter Aufsicht“, soll Fricke nach Aussagen einer Ex-Kollegin erklärt haben. Die Ex-KollegInnen bestätigen, dass Fricke eigentümliche Methoden der Mitarbeiterführung hat. So berichten sie von eigenen Arztbesuchen, nach denen der Chef angekündigt hatte, „den Arzt kenne ich, vielleicht rufe ich dort mal an.“ Unisono sprechen sie von „schlechtem Betriebsklima“ dank Frickes Führungsstil
1982 bekommt Horst-Günter Schröder Hautausschlag und ist öfter krank. Eine Mitarbeiterin erklärt, er vergifte das Betriebsklima. Schröder verklagt seine Kollegin daraufhin, und es stellt sich heraus, dass sie tatsächlich nie mit ihm zusammengearbeitet hat und dass die HUK Coburg ihre Prozesskosten übernimmt – das Arbeitsgericht entscheidet, die Kollegin habe ihre Äußerungen zu widerrufen.
1984 werden ihm Privatgespräche im Betrieb untersagt – nicht Telefongespräche, sondern das lockere Plaudern unter Kollegen. Einmal soll Schröder einen Brief diktieren – er aber schreibt ihn von Hand. Für Chef Fricke „glatte Arbeitsverweigerung“. Schröder wird gekündigt.
Er klagt gegen seine Kündigung und bekommt Recht. Zwei Tage nach dem Urteil kündigt die HUK ihrem Angestellten erneut. Erneut klagt er, erneut bekommt er Recht.
Er wird als Schwerbehinderter anerkannt, der Grund: „psychosomatisch bedingte Schuppenflechte“.
Die HUK will ihren Mitarbeiter loswerden. Sie bietet ihm die Versetzung nach Hamburg an. Schröder lehnt ab. Sie bietet ihm einen Auflösungsvertrag und eine Abfindung von 100.000 Mark an. Schröder lehnt ab. Und arbeitet weiter für die HUK. Außerdem ist er ehrenamtlicher Richter am Sozialgericht und fehlt gelegentlich an seinem Arbeitsplatz, weil er an Gerichtsterminen teilnimmt. Sein Chef Fricke lässt beim Gericht nach den genauen Zeiten nachfragen, zu denen sein Untergebener dort gebraucht werde. Als Schröder sich darüber beschwert, erklärt Fricke, dass es sich um ein „bedauerliches bürointernes Missverständnis“ gehandelt habe – es habe der HUK „völlig ferngelegen, Herrn Schröder persönlich in Misskredit zu bringen.“
Schröder fühlt sich längst fertig gemacht. Warum er nicht nachgegeben hat? „Mir geht es ums Prinzip“, sagt er, die HUK solle zugeben, dass sie im Unrecht sei. Schröder sei „inhaltlich, gedanklich völlig gefangen von den negativen Erfahrungen am Arbeitsplatz“, bescheinigt ihm eine Ärztin und berichtet von „hohem psychischen Druck“, von „Schlafstörungen, Grübelzwängen und Ängsten.“ 1991 wird Schröder Rentner wegen Erwerbsunfähigkeit.
Als es ihm nach zehn Jahren besser geht, er die Atteste zweier Ärzte vorlegen kann, die ihm zumindest probeweise Arbeitsfähigkeit bescheinigen, weigert sich die HUK, Schröder – trotz noch bestehenden Vertrags – wieder einen Arbeitsplatz zu geben. Schröder klagt. Fünf Termine sind angesetzt. Einen Tag vor dem vierten Termin verliert er die Nerven und zieht die Klage zurück. „Eine Spontanreaktion“, sagt er jetzt, und: „Aus heutiger Sicht war das vielleicht unklug.“ Seither herrscht Schweigen zwischen Horst-Günter Schröder und der HUK Coburg. Jürgen Fricke arbeitet unverändert bei der Versicherung.
Spielte Schröders Geschichte heute und nicht vor knapp 20 Jahren – sie wäre vielleicht anders ausgegangen. Kürzlich urteilte das Landesarbeitsgericht Erfurt in einem anderen Fall, dass „systematischer Psychoterror“ von Seiten des Arbeitgebers nicht nur die Menschenwürde des Betroffenen verletze, sondern „in einer die Grenze zur strafbaren Körperverletzung berührenden Weise auch seine seelische und körperliche Gesundheit.“ Seit das Erfurter Gremium um den Vorsitzenden Richter Peter Wickler dieses wegweisende Urteil fällte, wird es mit Anfragen überschwemmt.
Horst-Günter Schröder fühlt sich kalt gestellt. Er rechnet nicht wirklich damit, je wieder bei der HUK oder einer anderen Versicherung zu arbeiten. Er engagiert sich inzwischen in einer Anti-Mobbing-Gruppe. Und hat bei der Vorbereitung der morgigen Diskussion zum Thema Mobbing in der Akademie für Arbeit und Politik mitgeholfen. ExpertInnen aus Praxis, Wissenschaft und Politik diskutieren, wie Politik und Justiz zur Mobbing-Prävention beitragen können. Der Erfurter Richter Peter Wickler kommt auch.
Susanne Gieffers
„Brauchen wir doch ein Anti-Mobbing-Gesetz?“, öffentliche Diskussion in der Akademie für Arbeit und Politik, Am Barkhof, Parkallee 39, am morgigen Mittwoch von 18 bis 21 Uhr. Um 17 Uhr wird eine Ausstellung zum Thema eröffnet. Mehr Infos unter Tel.: 218 29 03
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