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Mehr feministische Eitelkeit

betr.: „ ,Herstory‘ – ohne Geschichte“, taz vom 6. 6. 01

Halina Bendkowski hat Recht, wenn sie die Schieflage der Geschichtsschreibung moniert, die in der letzten Emma dargestellt wird – der Frauen-Geschichtsschreibung, wohlgemerkt, beziehungsweise der Geschichte der neuen Frauenbewegung. Die Geschichte von Frauen ist nach wie vor so gut wie inexistent; sie trägt einen Löschfaktor in sich – wie eine Geheimschrift, deren Züge binnen kurzem verschwinden und nur unter Zuhilfenahme spezifischer Essenzen wieder sichtbar werden können, aber wer macht sich schon die Mühe.

Zurückblickend auf die Rückblicke anlässlich der Jahrhundert- und Jahrtausendwende fragt sich die unbefangene Betrachterin nach dem Datum des ersten Vorkommens von Frauen. Im Holozän kann es nicht gewesen sein. Prototypen finden wir sporadisch in der Antike, in späteren Annalen einige wenige Nonnen und Fürstinnen, ansonsten niente, Schweigen. Dass Frauen gegenwärtig etwa 51 bis 52 Prozent der Spezies ausmachen, ist ein, zumal in Historikerkreisen bislang nicht zur Kenntnis gelangtes Faktum (und wahrscheinlich ein Irrtum der Natur). Frauen kommen zwar vor, sind aber nicht geschichtsrelevant – so mag die Hypothese lauten. Aber vermutlich erreicht die Fachschaft noch nicht einmal diesen Pegelstand der Erkenntnis. Man denkt einfach nicht daran, dass Frauen zur Menschheit gehören – und damit auch zu ihrer Geschichte. Man braucht auch nicht daran zu denken, weil man Frauen und ihr Tun und Treiben allgemein und generell und ohne Reputationsverlust ignorieren kann.

Nun haben aber Frauen immerhin zwei Mal im vergangenen Jahrhundert die Historie selber so entscheidend bewegt und umgewälzt, dass das bis ins letzte, am höchsten gelegene Elfenbeinturmzimmer zu hören und zu sehen gewesen sein müsste. Das erste Mal war es eine sehr europäisch-internationale Bewegung, an der allerdings die überseeischen europäischen Derivate gewichtigen Anteil hatten. Beim zweiten Mal erfasste sie den gesamten Globus. In aller Herren Länder gingen Frauen auf die Straße, drangen in Amtsstuben und Universitäten, erzwangen Gesetzesänderungen und beeinflussten den allgemeinen Lebensstil so nachhaltig wie keine andere Massenbewegung. Aber der Löschmechanismus sorgt dafür, dass alles Tun und Reden von Frauen als null und nichtig gilt.

Geschichtliche Ereignisse von Bedeutung haben immer mehrere Anfänge. Damit man das Ganze nicht vergisst, wird irgendein Datum ausgemacht – und solche Daten sind immer tendenziös.

Man mag Alice Schwarzer Eitelkeit und Starallüren vorwerfen – doch ist das Problem nicht, dass sie die Geschichte der Frauenbewegung so erzählt, wie sie sich nach ihrer Meinung und Mitwirkung – und zu ihren Gunsten abgespielt hat. Das Problem ist, dass sie die einzige ist, die den Versuch macht, diese Geschichte publizistisch zu retten. Das Problem ist, dass viele Aktivistinnen von damals, die sich in vielerlei Institutionen haben etablieren können – ein Erfolg der Frauenbewegung –, leider heute von ihren Hochsitzen aus ihre damaligen Aktivitäten offenbar als Jugendsünde betrachten, sich an die Sprachregelungen halten, unter anderem daran, das Tabu-Wort so selten wie irgend möglich auszusprechen und in ihrer wissenschaftlichen/publizistischen/politischen Tätigkeit die Pespektive der Frauen möglichst nicht erwähnen, so oft wie möglich aber bekunden, dass sie mit Feminismus nix am Hut haben.

Da kann frau uns allen nur etwas mehr feministische Eitelkeit wünschen – zum Beispiel als anhaltenden Historikerinnenstreit.

GISELA BREITLING, Berlin

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