Freiheit, die sie meinen: Warum protestieren sie?
betr.: „EU-Motor fährt vor“ (Schröder und Chirac diskutieren deutsch-französische Vorschläge für nächsten EU-Gipfel: Gegen Rassismus und Massenvernichtungswaffen), taz vom 13. 6. 01, „Gipfel startet mit Krawallen“, taz vom 16. 6. 01, „EU-Gipfel: Polizei schießt scharf“, u. a., taz vom 18. 6. 01
Während drinnen von offizieller Seite über Fremdenhass und Rassenwahn diskutiert wurde, unterlagen draußen Kritiker der europäischen Asylpolitik und der Abschiebepraxis der beiden Länder Frankreichs und Deutschlands massiven Repressionen. Junge Leute, die ein wenig links aussahen, erhielten Platzverweise, jeglicher Protest wurde sofort unterbunden. Leute, die ein Transparent dabei hatten, auf der die Abschiebepolitik Frankreichs und Deutschlands kritisch beleuchtet wurde als Abschottungspolitik gegenüber dem Rest der Welt, wurden in Gewahrsam genommen.
Schröder ließ sich feiern im wahrsten Sinne des Wortes. Von demokratischen Rechten auf Meinungsfreiheit und Kritik an den herrschenden Verhältnissen war am Dienstag in Freiburg nichts zu sehen. So gab es bis zum Nachmittag zirka 60 Platzverweise und 14 Festnahmen. Eine Tür mit Stacheldraht, die die Abschottungspolitik Europas symbolisieren sollte und den von offizieller Seite aufgestellten offenen Türen als Symbol für ein „offenes Freiburg“ gegenübergestellt werden sollte, wurde sofort konfisziert und der Künstler wurde festgenommen.
ANDREA BEUCKMANN, Freiburg
Ja, es fanden Krawalle während des EU-Gipfels statt. Ja, sie gingen einher mit Gewalt. Ja, Gewalt ist nicht pauschal zu tolerieren. Aber warum diese Leute auf die Straße gehen, wird mit keinem Wort von euch erwähnt.
[...] Schade taz, dass Ihr auf dieser Welle der einseitigen Mainstreamberichterstattung mitsurft und den Hintergrund, das Warum, aufgrund der reißerischen Aufmache durch Worte der Gewalt ausspart.
Schade, dass es Euch egal zu sein scheint, dass noch Gegenbewegungen zur Normalpolitik existent sind, über die es sich weiterhin lohnt zu berichten. Wozu dann noch einen taz-Kongress übers zukünftige Leben, wenn denen, die ebenfalls dazu beitragen, keine Beachtung, sondern nur Missachtung geschenkt wird? [...] MARIO BLANIA, Hannover
Eure Titelstory über die Krawalle in Göteborg ist eigentlich schon eine Frechheit. Natürlich handelt es sich wieder einmal um eine kleine uneinsichtige Minderheit, die willkürlich anfängt, Gewalt auszuüben, während die Polizei sich an die Absprachen hält? Kein Wort davon, dass die Krawalle erst ausbrachen, nachdem die Polizei ein Meeting/Schlaf- und Info-Zentrum der Demonstranten stundenlang belagerte und räumte. Es macht nicht gerade den Eindruck, als ob Ihr Euch nur bemüht hättet zu recherchieren, was da los war, eher als ob hier einfach eine Agenturmeldung übernommen wurde. [...] JENS TUCH, Bremen
Kaum ist das Gipfeltreffen vorbei, konzentriert sich die Berichterstattung auf die gewalttätigen DemonstrantInnen und die juristischen Möglichkeiten, ebendiesen die Möglichkeit zu nehmen, ihren Unmut international kundzutun. Kaum ein Wort über die Damen und Herren der EU-Erweiterung und Globalisierung. Schweigen über ihr Tagesgeschäft mit dem mächtigsten Mann der Welt, George W. Bush. Kein Aufschrei in der Presselandschaft über die fortschreitende Hofierung des US-Präsidenten, trotz seiner Missachtung der Klimaschutzvereinbarung und seines Planes zum Aufbau eines nationalen Raketenabwehrsystems, um nur zwei Sachen zu nennen, die die gesamte Menschheit an den Rande ihrer Existenz bringen können. [...]
Wie sollen denn Politiker auf drohende Gefahren aufmerksam gemacht werden, die ihrerseits, wider allen völkerrechtlichen Gesetzen, vor ein paar Monaten Menschen bombardiert und ganze Städte in Schutt und Asche gelegt haben? Bestimmt nicht mit Liedern und Transparenten. HENNING GYSZIO, Köln
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