kommentar: Slobodan Milošević zieht nach Den Haag
Westliches Geld zwingt Belgrad zur Einsicht
Eigentlich war es schon nach der Verhaftung von Slobodan Milošević klar: Der jugoslawische Expräsident und Hauptverantwortliche für die systematische Vertreibung hunderttausender von Kosovoalbanern muss an das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ausgeliefert werden. Damals zierte sich die jugoslawische Führung noch. Doch der Hinweis des neuen Präsidenten Vojislav Koštunica, laut Verfassung dürften jugoslawische Bürger nicht ausgeliefert werden, erwies sich bald als nicht haltbar. Jugoslawien ist als Mitglied der UN verpflichtet, mit einer UN-Organisation zusammenzuarbeiten. Punkt.
Ausschlaggebend für die jetzt erfolgte Entscheidung war jedoch der starke internationale Druck. Es ging schlicht und einfach um Knete aus dem westlichen Ausland – denn damit steht und fällt jedes Reformprojekt in Jugoslawien. Entscheidend war, dass nun nicht mehr nur die USA, sondern auch die Europäer ein Junktim zwischen der notwendigen Finanzspritze und der Auslieferung mutmaßlicher Kriegsverbrecher befürworteten. Wenn Milošević nun also schon in den nächsten Tagen in Den Haag landet, geschieht das auf westlichen Druck hin.
Mit dem dort anstehenden Prozess werden endlich alle Fakten auf den Tisch kommen, die von den Den Haager Ermittlern zusammengetragen wurden. Dies wird nicht nur für die unmittelbaren Opfer wichtig sein – und auch nicht nur für die jugoslawische Öffentlichkeit, die sich derzeit ernsthaft mit der Vergangenheit auseinander zu setzen beginnt. Dass sich im Zuge des Prozesses einige der in Deutschland geäußerten Standpunkte – etwa die Leugnung des Massakers von Račak im Kosovo – als haltlos erweisen werden, ist schon jetzt aus der sorgfältig erstellten Anklageschrift zu erkennen. Wenn aber in Den Haag angedeutet wird, die Milošević-Anklage könnte in Bezug auf die von Serben zu verantwortenden Verbrechen in Bosnien-Herzegowina erweitert werden, dann werden weit bedeutsamere Kreise gezogen.
Die Verkürzung der Anklage auf das Kosovo war ohnehin ein fragwürdiger politischer Kompromiss. Mit den kommenden Prozessen wird endlich ein großer Teil der Wahrheit über den Krieg im ehemaligen Jugoslawien ans Licht kommen. Denn eines ist sicher: Milošević wird sich mit Händen und Füßen verteidigen und auch Politiker der internationalen Gemeinschaft in den Strudel ziehen wollen. Und damit könnten nicht nur jugoslawische, sondern auch manche westliche Politiker und Militärs in Erklärungsnöte geraten.
ERICH RATHFELDER
brennpunkt SEITE 4,meinung SEITE 11
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