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Die Gelüste alternder Neoisten

■ Bald gibt's nur noch Elfen: Stewart Home liest in der Schilleroper aus Blow Job

Früher sah Stewart Home aus wie einer seiner Helden. Der Skinhead mit dem Babyface nährte gerne den Verdacht, dass die linksradikalen und anarchistischen Glatzen, die Werke wie Purer Wahnsinn und Stellungskrieg bevölkern, autobiografische Züge tragen könnten. Von billigem Propagandamaterial geschult, zeigten die offiziellen Pressebilder den jungen Londoner von leicht unten, so dass sich Homes Gestalt einem Heldenmal gleich in die Himmel reckte. Hier stilisierte sich jemand zum Boot-Boy und gab auch in Interviews den aufrechten Kämpfer: „Du kannst nicht einfach die Hände heben und rufen, jede Gewalt ist schlecht. Das ist eine naive Vorstellung. Gewalt spielt eine wichtige Rolle in der Entwicklung sozialer Prozesse. Gewalt kann produktiv sein und zu neuen Dinge führen, zum Umsturz von alten, ineffektiven Sozialordnungen... “

Das aktuelle Verlagsporträt zeigt einen lockigen Homes von schräg oben, wie er mit einer männlichen Gummipuppe an einem Bistrotisch sitzt. Soeben in deutscher Übersetzung erschienen, ist sein dritter Roman Blow Job dann auch der letzte, den er unter dem Banner Sex, Gewalt und Anarcho-Sadismus ansiedelt. Dafür stellt er für künftige Arbeiten das Motto Essen, Ficken und Okkultismus in Aussicht. Essen scheint ohnehin im Leben alternder Neoisten eine zentrale Rolle einzunehmen, Ficken wollen sie davor alle noch mal, und das mit dem Okkultismus erklärt sich (nicht wirklich) aus zwei Tatsachen: Zum einen beschäftigt er sich seit über zwei Jahrzehnten mit radikaler Politik und hat damit das Recht, an Gespenster zu glauben; zum anderen hat es ihn jetzt nach Schottland verschlagen, wo er mit der Erfindung einer Avant-Bard künstlerische Avantgarde und keltisches Druidentum vereinen will...

Als Kopf der Anti-Kunst Bewegung der Neoisten und Erfinder des Art-Strikes (90-93) ist Home in die Analen der Kunstgeschichte eingegangen – nichts hat ihm mehr Ruhm eingebracht als konsequentes Nichtstun. Sein literarisches Werk wiederum bekennt sich zum Plagiat; denn Kreativität ist auch nur eine Instrument der Unterdrü-ckung.

Bleibt der Raub geistigen Eigentums. In ewig wiederkehrenden Phrasen zerlegt Home Literatur und konstruiert gleichzeitig Geschichte. Dabei sind Sex und Gewalt die einfachsten Stilmittel. „Ich nehme passende Sätze aus fremden Büchern und repetiere sie endlos. Das ist Plagiarismus, Enteignung, Sampling, eine Rhythmisierung des Erzählens. Die einzige wirkliche Figur in meinen Büchern ist der Schauplatz, der Ort.“

Lars Brinkmann

LesungSonntag, 1.Juli, 21 Uhr, Schilleroper

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