: Ausschnitte und Augenblicke
Sie zittern und gleiten und springen und schwingen: Der Choreograf Manfred Fischbeck und seine Group Motion aus Philadelphia lassen mit ihrem virtuosen Stück „Re:Turn“ die Bühne des Docks 11 zu einem einzigen großen Körper werden
von JANA SITTNICK
Manfred Fischbeck ist lange nicht mehr in Berlin gewesen. Nun kehrt der Choreograf und Regisseur an den Ort seiner künstlerischen Anfänge zurück, und er hat das Tanzstück „Re:Turn“ mitgebracht.
Obwohl es, folgt man der Inhaltsangabe auf dem Programmzettel, darin eher um mysteriöse Zustände wie Nahtod-Erfahrung, Ritual und Transformation geht, ist der Titel des fragmentarischen Stückes auch als Verweis auf eine Rückwendung lesbar. Manfred Fischbeck erlebte die politischen und kulturellen Stürme der Sechzigerjahre in Westberlin, er kannte Rudi Dutschke, Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Und er traf einen Mann in schwarzer Lederjacke. „Dem wurde ich mit ‚Das ist Manfred, der will tanzen‘ vorgestellt, worauf der andere nur grinste. Später erfuhr ich, dass das Andreas Baader gewesen war.“ Fischbeck hatte den Politaktivisten nicht erkannt, ein Umstand, der ihn in der Rückschau eher amüsiert.
An vordergründig politischen Taten war er nie interessiert. Umso mehr am theatralischen Spiel: Mit dem „Provisorischen Theater“, einer freien Gruppe, in der Fischbeck als Musiker, Schauspieler und Regisseur mitwirkte, durchbrach man den Brecht-Boykott in der geteilten Stadt. „Wir führten ‚Dickicht der Städte‘ in der Akademie der Künste auf, als Erste in Westberlin.“ Vorher war er in den Osten gefahren, um sich die Erlaubnis der Weigel zu holen.
1962 schloss sich Manfred Fischbeck der „Gruppe Motion“ an, die aus der Nachkriegsschule von Mary Wigman hervorgegangen war. Was Wigman, die Pionierin des deutschen Ausdruckstanzes, in den Zwanziger- und Dreißigerjahren losgetreten hatte, die Befreiung des Tanzes aus dem starren Regelkorsett, entwickelte Gruppe Motion weiter. „Im Tanz“, so Fischbeck, „hat man, wie in keiner anderen künstlerischen Situation, die Möglichkeit, Raum neu zu schaffen und zu transformieren.“
In seinen „Excerpts“, den Auszügen aus verschiedenen Produktionen, die der Choreograf in „Re:Turn“ aneinander reiht, vermittelt Fischbeck den physischen Abdruck dieser Idee. Die fünf Tänzer seiner „Group Motion“, allesamt hoch virtuos in der Ausübung ihres Genres, teilen sich den kargen Bühnenraum, der mit schwarzem Tanzboden und weißer Videoleinwand minimalistisch ausgestattet ist, um ihn mit ihrem Stoff zu füllen. In kurzen Sequenzen, die einzeln, zu zweit, zu dritt oder in ganzer Gruppe getanzt werden, erzählen ihre Körper von der Möglichkeit „Mensch“, die sich in der puren Gebärde materialisiert. Sie gleiten, zittern, springen oder schlängeln sich durch den Raum, sich scheinbar ganz in der Welt zwischen innerem Erleben und Ausdruck befindend.
Und dann ist der Raum wie ein einziger großer Körper, der sich mit dem Schwingen der einzelnen „Subkörper“ verbindet. Die „Auszüge“ lassen eine Totalität als Erlebnis des Augenblicklichen vermuten, wie sie gestisch erzählt werden könnte. Sonst erzählen sie nichts, es gibt keine Geschichte, die sich ablesen lässt. Der Choreograf ist sich dessen bewusst. Das Risiko, nicht „im Ganzen“ verstanden zu werden, wenn er nur Bruchteile zeigt, ergebe sich, so Fischbeck, das müsse er auf sich nehmen. „Aber wir wollen unser Repertoire zeigen, einen Eindruck vermitteln, das ist wichtiger.“
Fischbeck folgte, zusammen mit den Wigman-Schülern Brigitta Herrmann und Helmut Gottschild, 1968 einer Einladung in die USA. Dort zeigte die Gruppe Motion ihr Berliner Erfolgsstück „Countdown für Orpheus“ in der Judson Church in New York, bekam gute Kritiken und blieb. „Das Klima für modernen Tanz war damals in den USA sehr offen, so wie die ganze Kunstbewegung, wir konnten unsere tänzerische Arbeit weiterentwickeln und bald auch eigene Kurse geben.“
Die „Group Motion Company“, wie sie sich in den Siebzigern nannte, baute ihren multimedialen Ansatz, die Arbeit mit Video, und ihre Techniken, die von der Improvisationsmethode des Merce Cunningham beeinflusst waren, aus. Fischbeck, der die Kompanie seit 1989 in Philadelphia allein leitet, legt Wert auf die kreative Mitgestaltung seiner Tänzer. „Ich suche die Tänzer nach ihrer Technik und ihrem Ausdruck aus und danach, wie sie selbst choreografieren wollen.“ Fischbeck spricht fast nur in der „Wir“-Form. „Allein als Leiter ist man ja nichts. Die Kollaboration ist das Wichtige.“
Das Material von „Re:Turn“ hat Fischbeck gemeinsam mit der Londoner Choreografin Carol Brown, der Musikerin Andrea Clearfield und dem Videokünstler Tobin Rothlein erarbeitet. Dass er sein Stück im Rahmen des Festivals „Verzweigungen – Ausdruckstanz und Butoh“ zeigen kann, findet er sehr wichtig. Butoh, der avantgardistische und regelfreie japanische Tanz, ist, so Fischbeck ein „Tanz des Seins“. Da Tanz, der versucht, das Innenleben als „totalen Augenblick“ auszudrücken, aber immer schon Vermittlung ist, kann dieser Anspruch problematisch sein. Das stimmt, meint Fischbeck, „doch das Erlebnis bleibt“.
„Re:Turn“ läuft bis zum 5. 7., jeweils 20.30 Uhr, im Dock 11
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