: „Nördliche Menschen“, südliche Konstrukte
■ Das Orchester der Universität spürt spanischen Leidenschaften nach, von „ordentlich klassisch“ a la Michael Glinka bis zu Ibero-Schnulz
Die abendliche Deichsonne leuchtet die Graswurzeln von der Seite her an, Schafe weiden an der Bäke, welche einst die großagrarische Mühle speiste – und Stuckrad-Barre war nicht nur schon da, sondern kommt aus der Gegend.
So bremisch also wie es nur eben geht, bietet das Gut Varrel eine gute Aussichtsplattform, um darüber nachzusinnen, wie „wir nördlichen Menschen Spanien als Folie für unsere Projektionen und Wünsche benutzen“. So laut Programmheft die thematische Klammer des vom Orchester der Universität Bremen zusammen mit Studierenden der Musik am Montag im Getreideschober des Gutes gegebenen Semesterabschlusskonzerts.
Jawohl, die Paradigmen der „Cultural Studies“ sind länger schon auch im Lehramtsstudiengang Musik daheim. Im ausklingenden Semester spürte ein eigenes Studienprojekt „Spanien“ dem Faszinosum der entschwindenden Authentizität nach: Nicht nur nördliche Derivate, so lautet das Ergebnis, sondern auch die originär spanische Kunstmusik produziert lediglich Konstrukte des Spanischen. Neu ist eine solche Erkenntnis nicht (wir haben uns längst daran gewöhnt, auf das Eigentliche verzichten zu müssen, und haben gelernt, begeistert mit den Repräsentationen zu spielen), aber einen interessanten Ansatz für ein Konzertprogramm stellt die Erforschung kultureller Stereotypisierungen sicherlich dar.
In der ersten Konzerthälfte führte ein sympathischer Erzähler durch ein unterhaltsames Potpourri, das von Fernando Sôrs Kunstliedern mit Gitarrenbegleitung bis zu aktuellem spanischen Schnulzenpop reichte. Künftige Musiklehrer müssten sich heutzutage eben auch mit populärer Musik auseinander setzen, erklärte der Impressario – und griff selbst zum E-Bass.
Das war nett und pfiffig, vor allem die natürliche Reproduktion des Synthi-Solos durch die Kombination von Querflöte mit einem dem Dudelsack klanglich verwandten Blasinstrument.
Zur Thematik der kulturellen Ableitungen passte es irgendwie, dassauf diesem Weg die Imitation des elektronischen Imitationsinstrumentes wieder in die Natur zurückführte. Es zeigte sich aber auch, dass – bei allem guten Willen – eine solide klassische Musikausbildung beim seichten Grooven eher hemmt: Das scheinbar Banale auch überzeugend hinzukriegen, ist schwerer als manche(r) meinen möchte.
Als sich nach der Pause das Orchester auf der Bühne einfand, wurde es wieder ordentlich klassisch. Die Annäherung an den leidenschaftlichen Süden, die der russische Komponist Michael Glinka in seinem „Caprice Brillant“ mit der ganzen paukenschlagenden Emphase des neunzehnten Jahrhunderts zelebrierte, war wohl wirklich nur von kulturhistorischem Interesse. Léo Delibes' dezent frivoles „Chanson Espagnole“ konnte eher begeistern: Susan Khalili sang nicht nur mitreißend schön, sondern traf auch gestisch den Nerv.
Der Schluss des Konzerts war Virtuosität pur: Beate Weis konnte es bei Edouard Lalos „Symphonie Espagnole“ – die eigentlich ein Violinkonzert ist – so richtig krachen lassen. Aber auch das beeindruckende technische Können und die punktgenaue Rhythmik der Geigerin konnten die inhaltliche Leere dieser Musik nicht wirklich überspielen.
Die kulturwissenschaftliche Perspektive führte also zu einer nicht unbedingt selig machenden Stückauswahl. Gleichzeitig konnte das Thema im Rahmen eines Semesterabschlusskonzertes nicht wirklich systematisch durchdrungen werden. Dennoch war es ein ansprechend anderes Konzert. Überzeugt hat vor allem der lockere Habitus von Orchester und Leitung.
Das Orchester der Universität bleibt dem thematischen Ansatz übrigens treu: Auf dem Winterprogramm stehen Kompositionen zum Thema Tod – und dazu gibt es auch zwei Seminare für Studierende aller Fachbereiche.
Zeno Ackermann
Das Konzert wird mit leicht verändertem Programm wiederholt: heute um 20 Uhr im Haus am Walde (am Bremer Stadtwald) bzw., bei schlechtem Wetter, im GW1-Hörsaal der Universität. Bei freiem Eintritt!
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