Die Front rückt weiter auf Skopje zu

Der Rückschlag in Aracinovo hat die albanischen Rebellen nicht geschwächt, im Gegenteil: Die UÇK hat sich neu formiert und baut ihre Positionen im Norden Makedoniens aus. Derweil fliehen Tausende aus den umkämpften Gebieten ins Kosovo

aus Skopje ERICH RATHFELDER

Die Helikopter sind über dem Zentrum von Skopje gut zu sehen, wenn sie aus dem Kampfgebiet zurückkehren. Kurze Zeit später und beladen mit der Last neuer Bomben rauschen die wie Hornissen aussehenden russischen Kampfhubschrauber Mi-24 im Tiefflug von dannen. Das Dröhnen der Rotoren gehört schon zum Alltag. Und wenn die beiden Kampfbomber SU 25, die, kürzlich in der Ukraine erworben, ihr tödliche Last auf das neue Kampfgebiet im Nordwesten der Stadt werfen, ist sogar das Donnern der Explosionen in der Ferne zu vernehmen.

Der Krieg ist Skopje wieder näher gerückt. Denn albanische Rebellentruppen der UÇK sind dabei, in dem kaum 13 Kilometer entfernten Gebiet um das Dorf Radusa neue Stellungen auszubauen. Die Straße schlängelt sich durch das Tal des Vardar-Flusses, rechter Hand erheben sich unwegsame Hügel. Die Dörfer, die hier im Tal liegen und bis zum Stadtrand von Skopje reichen, sind fast ausschließlich von Albanern bewohnt.

Über kurz oder lang, schätzt ein Major der makedonischen Armee, der mit seinen Leuten abseits der Straße stationiert ist, werden die „Terroristen“ auch hier auftauchen. Aber die Armee habe alles im Griff. Einige Kilometer näher zum Kampfgebiet hin ist jedoch von den Soldaten nichts zu sehen.

Hoch ragen die Berge auf, die hier die Grenze zum Kosovo bilden. Und Ragusa, das Dorf, das jetzt bombardiert wird, liegt am Berghang, kaum 2 Kilometer von der Grenze entfernt. Hier wurde noch vor wenigen Minuten geschossen. Jetzt herrscht eine gespenstische Ruhe, die das Gedröhn der Helikopter und Flugzeuge bald unterbricht.

Nach dem Abzug der UÇK-Rebellen aus dem von Granaten der Armee völlig zerstörten Dorf Aracinovo wurde eine neue Front eröffnet. Nach Informationen aus internationalen militärischen Quellen soll dort, auf diesem Berg, am letzten Wochenende die 114. UÇK-Brigade aufgetaucht sein. Die UÇK halte nun ein Gebiet mit einer Frontlinie von mehr als 100 Kilometern, von den Dörfern bei Kumanovo im Osten, dem Gebirge nördlich Skopjes bis zur Gebirgskette, die sich vom Grenzübergang Jashince über Tetovo bis hin nach Gostivar zieht. Jetzt sei die UÇK in 5 Brigaden gegliedert und agiere wie eine reguläre Armee.

Auch Tetovo ist die Front wieder näher gerückt. Die albanischen Rebellen sitzen in den Unterständen oberhalb der Stadt, sogar in dem vom Hauptplatz der Stadt aus gut sichtbaren Dorf Gajre, das Ende März noch von der makedonischen Armee „zurückerobert“ wurde. Die albanischen Rebellen warten ab. Sie wissen, dass sie Tetovo in wenigen Stunden nehmen könnten. Das wäre aber politisch und militärisch unklug – so schätzen albanische Quellen ihre Taktik ein. In den letzten Tagen wurden nur die Dörfer Sotola, Hotuja und Jeduarca erobert, die ebenfalls am Hang des Gebirges liegen und von wo aus die wichtige Straße Tetovo–Jashince–Kosovo militärisch kontrolliert werden kann.

Erstmals hat die UÇK mit dieser Offensive ihre Strategie geändert, nur albanische Dörfer zu „verteidigen“. Sie hat die „Front begradigt“ und drei Dörfer angegriffen, die mehrheitlich slawische Makedonier bewohnen. In ihnen lebten jedoch nur wenige Bauern. So war es am letzten Wochenende für die UÇK einfach, die Dörfer einzunehmen. Der Widerstand eines Polizeipostens war schnell gebrochen. Ein Polizist wurde getötet, ein anderer verletzt. Die Bewohner flohen.

„Als wir die Schießereien hörten, sind wir ins Auto gestürzt und runter zur Straße gefahren“, sagt einer der Flüchtlinge, ein 60-jähriger Bauer, der jetzt in Skopje untergekommen ist. Er will anonym bleiben, aus Angst vor Rache. So weit er wisse, seien keine Zivilisten ums Leben gekommen.

Auch das Internationale Rote Kreuz und die UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR wissen noch nicht, um wie viele Flüchtlinge es sich handelt. Denn die Menschen ließen sich nicht registrieren, sie schlüpften bei Verwandten unter, sagt die Sprecherin des Roten Kreuzes. Ähnlich sei dies bei den Albanern. Viele Frauen und Kinder seien von Skopje und anderen Städten ins Kosovo geflohen, weit mehr als die 90.000 Registrierten.

Die Albaner Skopjes lebten in Angst, sagt ein Mann in der Altstadt. Er habe sein Textilgeschäft geschlossen und die Familie nach Priština zu Verwandten geschickt. Makedonische Paramilitärs hätten gedroht, alle albanischen Geschäfte anzuzünden und die Albaner zu vertreiben. „Zwischen den Nachbarn hat es nie Probleme gegeben“, seit dem Krieg aber könne man niemandem mehr trauen, sagt er.