: Horror in der Puppenstube
Eine Zunge züngelt: Die Schaubühnenproduktion „Evil Dead III“ von Sam Raimi unter der Regie von Sasha Waltz
Mittlerweile kann man den Eindruck bekommen, die Schaubühnencrew flüchte ihr Haus; sie selbst hat Langeweile einziehen lassen ins Gemäuer, bedarf immer häufiger der Gastspiele, um den Spielplan interessant zu gestalten, und ist jetzt bei einer Absetzbewegung zu beobachten. Sasha Waltz etwa lässt ihre Tänzer neuerdings draußen vor dem Haus tanzen; die Werkstattproduktion „Evil Dead III“ versicherte sich der Unterstützung der Sophiensaele, um in den Nebengelassen der Elisabethkirche eine theatralische Nachbearbeitung von Sam Raimis Horrorpackung aufzuführen. Wie bei den bisherigen Werkstatt-Inszenierungen auch zeigt sich die Schaubühne hier von ihrer besseren Seite.
Schnell und beinahe kostenneutral wird neben dem üblichen Spielbetrieb eine Produktion hingeworfen. Die Schauspieler zeichnen sich durch eine Frische aus, die aus einer Verunsicherung durch den mit heißer Nadel zusammengestrickten Abend herrühren mag, ihm andererseits eine Lebendigkeit verleiht, die den „großen“ Stücken abgeht. Vielleicht ist das Publikum auch nur milder gestimmt, weil es eben um die besondere Produktionsform weiß und offensichtlich den Eifer honoriert, mit dem die Schaubühne Texte zeitgenössischer Autoren aus Britannien und Amerika einführt. August Baker, aus dessen Laptop die Raimi-Fortsetzung stammt, ist in den USA jedenfalls als aparter Collageur des alltäglichen Wahnsinns bekannt. Gern lässt er ihn in den blanken Horror überschießen.
Vor der aus dem Film bekannten fluchbeladenen grünen Waldhütte mit dem sprechenden Hirschkopf an der Wand sehen wir die kopflose Susan, ihren mörderischen Freund Tom und zwei Detektive, die eigentlich den Fall lösen sollen, selbst aber so ins Geschehen hineingezogen werden, dass auch ihr Leben umschlägt. Nummer 2 (Hans Fleischmann) quittiert den Polizeidienst und verlegt sich aufs einsame Bücherlesen. Nummer 1 (Axel Wandtke) lebt seine Libido als Poltergeist in der Waldhütte aus. Sie begegnen sich nur noch, um voreinander ihre männlichen, weißen Mittelstandspsychosen auszukotzen. Nummer 1 vögelt viel, kennt aber seine eigene Frau nicht mehr. Nummer 2 kam nur einmal in diesen Genuss – weil die Frau auch mal einen Bullen zwischen ihren Beinen haben wollte – und flüchtet sich nun in die pseudointellektuelle Verarbeitung der Welt.
Zwischen den hausbackenen psychologisierenden Sentenzen recherchieren die beiden Detektive ein bisschen an dem rätselhaften Fall herum, der als Erinnerungsflash noch einmal dargestellt wird. Man sieht das Studentenpärchen Tom und Susan Monopoly spielen, erfährt, dass sie in der Hütte besseren Sex als zu Hause haben. Marina Galic als Susan legt sich hingebungsvoll ins Zeug, lässt die Zunge züngeln, das Becken rotieren und den Magen konvulsieren. Grünes Zeug spritzt da aus ihrem Munde raus. Sie scheint an einen menschenüberschreitenden Apparat angeschlossen zu sein. Auch die anderen haben merkwürdige Erlebnisse. Ein Arm macht sich selbstständig. Er wird zur bösartigen Klaue, die gerade noch gebändigt werden kann.
Was bei ordentlichen Horrorfilmen nur ein Vorspiel für den ekstatischen Tanz nachtdunkler Seelen ist, macht bei dieser Inszenierung leider schon den Höhepunkt aus. Zwar tut die Drummerin Robyn Schulkowski ihr Bestes, indem sie das Geschehen mit treibenden Beats unterlegt. Aber insgesamt hat Regisseur Gian Manuel Rau die Vorlage nur brav umgesetzt. Eine schaurige Puppenstube entsteht, mehr Puppenstube als schaurig, weil ein Stein auf den anderen passt und jede Tat ihr Motiv hat.
TOM MUSTROPH
Evil Dead III, KunstForum Elisabeth, Invalidenstr. 4., 5., 9., 12.–15. 7., 20 U
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