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Im Taxi zum Beat

Seele zu Seele, mit Rap und nigerianischen Sound Systems: In diesem Jahr werden die Heimatklänge am Ostbahnhof Afrika und Amerika vermischen

von ANDREAS BECKER

Die Leichenvisiteure nebenan bei den „Körperwelten“ sind fast agiler als die ersten „Heimatklänge“-Besucher. Recht verhalten bleibt der Andrang zum Auftakt der „Soul 2 Soul Afrika–Amerika“-Wochen am Ostbahnhof. Obwohl Oberindianer Borkowsky Akbar munter wie seit 1988 jeden Sommer seine Lügenbarongeschichten hinter der Bühne auftischt: bloß nicht in die mit schmackhaften Ködern ausgelegte Authentizitätsfalle tappen.

Die Eröffnungsband des Siebenwochenfestivals – im letzten Jahr hatten die Heimatklänge immerhin rund 70.000 Besucher – hat der Weltmusikerkundungsreisende Akbar einem rollenden Cassettenlager namens Taxi zu verdanken. Wie der Chefethnologe in Afrika Richtung Ouagadougou brummelte, legte der noch junge Taxifahrer Sono de Villes ein. Eine Gruppe, viele Stile und Himmelsrichtungen: Teile der Drums und Vocals, und ein Rapper stammen aus Abidjan, Elfenbeinküste; Abou Kora und Issouf Kienou, beide Percussion, sind aus Burkina Faso. Der Rest der Band arbeitet im Winter als Skilehrer und Schneekanonenschießer in den Alpen im französischen Grenoble.

Besonders auffällig aus der Alpensektion ist die umtriebige Saxophonistin Christél Chiaudano. Die bläst sich und anderen immer wieder den Weg frei durch die dschungelbuchhaften Trommeleinlagen aus allen Bühnenecken. Aber Sono de Villes sind ja neben allen anderen Einflüssen auch eine HipHop-Crew. Rapper und ein Turntable-Herrscher sind dabei. Glücklicherweise wird relativ zurückhaltend gerappt mit wenig „yoooh“ und „fuck you motherfuckers“.

Ein witziger Groove weht durch das kleine Zirkuszelt, und wir werden schon fast wieder melancholisch. Denn hier finden die Heimatklänge ja auch schon wieder zum letzten Mal statt. Am neuen Standort am Anhalter Bahnhof wächst inzwischen ein Gebilde, das als Trutzburg aus Stahl und Beton, aber nicht gerade als Zirkuszelt durchgeht. Auch Borkowsky hat noch keine Ahnung, wie man dort die Heimatklänge heimisch machen können wird – vielleicht ein Zelt unterm Betondach aufstellen?

Aber genießen wir weiter den zappelig ausfransenden Sound von Sono de Villes auf der Bühne. Ungebändigte Spielfreude heißt so was bei der Billigmusikpresse. In den Nächten zu Samstag und Sonntag finden nach den Konzerten noch die After Midnight Partys statt unter dem Motto Transurban Nomads.

Spannend wird es auch nächste Woche ab Mittwoch, wenn das Shrine Synchro System alte Afrobeat-Platten sampelt und zu Neuem verwurstet. Dann müßte es richtig modern dancefloorartig abgehen. Schon merkwürdig, wie sich in den 13 Jahren die öffentliche Musikwahrnehmung geöffnet hat. Damals auf der kleinen Bühne im Tiergarten, waren Rai-Geschichten und anderes noch richtig aufregend exotisch. So blöd das Label Weltmusik noch heute klingt – es ist eine erfolgreiche Marke geworden, die einigen tausend Leuten gerade auch in der „Dritten Welt“ Arbeit und Lohn einbringt.

Heimatklänge mit Sono de Villes, bis Sa. 21.30 Uhr, So. 16 Uhr, 6 DM Eintritt

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