„Sie war die ‚Washington Post‘ “

Von der „doormat wife“ zur Verlegerlegende: Die Medienunternehmerin Katherine „Kay“ Graham starb mit 84 Jahren

Weil ihr Vater Eugene Meyer meinte, ein Mann solle nicht als Untergebener seiner Frau arbeiten, ging sie zunächst leer aus: Anstelle seiner Tochter Katherine vermachte er Ende der 50er-Jahre seinem Schweigersohn Philip Graham die Washington Post. Da gehörte die am Dienstag im Alter von 84 Jahren verstorbene Katherine Graham längst zur Sozial- und Politelite der US-Hauptstadt. „Kay“, wie sie sich selbst nannte, war in ihrer Rolle als doormat wife (Kay über Kay) alles andere als glücklich. Als sich der psychisch kranke Philip 1963 erschoss,übernahm sie endgültig die verlegerische Leitung der Washington Post.

In den folgenden Jahren beschleunigte sich der Aufstieg des einstigen Provinzblatts zu einer der beiden auch international bestimmenden Zeitungen der USA. 1966 lockte Graham Ben Bradlee vom Nachrichtenmagazin Newsweek als Chefredakteur ins Blatt, der mit Bob Woodward und Carl Bernstein eine entscheidende Rolle bei der Aufdeckung des Watergate-Skandals 1972 und dem daraus folgenden Rücktritt von Präsident Richard Nixon spielen sollte.

Grahams Ruf als „Hands-on“-Verlegerin, die auch vor den höchsten Machtinstanzen der USA nicht zurücksteckt, war da schon ein gutes Jahr alt: Im Frühling 1971 hatte sie sich gegen den Rat der Post-Anwälte auf die Seite ihrer Redaktion geschlagen und die später als „Pentagon-Papers“ bekannt gewordenen vertraulichen Dokumente über den tatsächlichen Kriegverlauf in Vietnam veröffentlicht. Grahams „I say we print“ bescherte ihr die erbitterte Feindschaft der Nixon-Administration, auch wenn Graham ansonsten die Doppelrolle von aufklärerischer Verlegerin und der dem Socialising mit der Macht keinesfalls abgeneigten Insiderin vielleicht sogar zu perfekt beherrschte: In späteren Jahren wurde ihr die enge Freundschaft mit den Kissingers sowie Nancy und Ronald Reagan angekreidet und als Zeichen für nachlassenden Enthusiasmus in Sachen investigativer Recherche bewertet. Dennoch: Für viele Amerikaner „war sie einfach die Washington Post“, schrieb gestern nach ihrem Tod Post-Medienredakteur Howard Kurtz.

Katherine Graham war aber nicht nur die Ausnahmeverlegerin, sondern auch eine der ganz wenigen Frauen in den höchsten Sphären des internationalen Mediengeschäfts: Bis 1991 managte sie die Aktivitäten der Washington Post Company, zu der neben der Post auch Anteile an der International Herald Tribune sowie regionale und lokale TV-Sender, Newsweek und Online-Unternehmen gehören.

Im selben Jahr übergab sie auch die Verlagsgeschäfte an ihren Sohn Donald und setze sich an ihre Biografie. Für ihre „Personal History“ erhielt Katharine Graham 1998 prompt den Pulitzer-Preis, noch stolzer soll sie aber über eine andere Nebenarbeit als Rentnerin gewesen sein: Den Barscheck über 87,50 Dollar, den ihr Newsweek für ein selbst aufgenommenes Foto von Muammar al-Gaddafi schickte, hat sich Graham einrahmen lassen. STEFFEN GRIMBERG