: Kontrollverlust in der Atomanlage
Nach dem Diebstahl von radioaktivem Material aus der Wiederaufbereitungsanlage Karlsruhe berichten jetzt Arbeiter von Fremdfirmen, dass sie auf dem Gelände nie kontrolliert wurden. Sie hätten „ohne weiteres immer etwas mitnehmen“ können
von KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT
Die Sicherheitsdefizite in der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe (WAK) sind offenbar noch größer als bislang angenommen. Nach dem kürzlich aufgedeckten Diebstahl von radioaktiv verseuchten Materialien war bekannt geworden, dass sich die Kontrollstellen mit einfachen Tricks „überlisten“ ließen. Nun berichteten Arbeiter von Fremdfirmen, dass sie überhaupt nicht kontrolliert wurden und sich frei auf dem Gelände der WAK bewegen konnten.
Zwei Beschäftigte, die von der WAK mit Arbeiten im Rahmen der Rückbaumaßnahmen beauftragt worden waren, sagten am Donnerstagabend im SWR, dass sie „nie kontrolliert“ worden seien. „Ich hätte ohne weiteres immer etwas mit rausnehmen können“, so Detlef Kauert, der mit Abrissarbeiten auf dem Gelände beschäftigt war. Darüber hinaus seien Störfälle vertuscht worden. Er sei „für Minuten blind“ gewesen, berichtete der Lastwagenfahrer Herbert Orator, nachdem aus seinem in der WAK abgefüllten Tanklastzug eine Flüssigkeit ausgelaufen sei. Man habe ihn danach beruhigt, der Vorfall sei aber „nicht gemeldet“ geworden.
WAK-Sprecher Helmut Hübner wollte die Vorgänge gegenüber der taz weder bestätigen noch dementieren. Man werde der Sache nachgehen. Doch dann sagte Hübner auf Nachfrage noch, dass der Fernsehbeitrag „wohl getürkt“ gewesen sei. Die beiden Männer hätten „wahrscheinlich nie in der WAK gearbeitet“. Auf dem Gelände würden nämlich weiße Schutzanzüge getragen und keine gelben. Hübner nicht ohne Chuzpe: „Die haben ihren Film offenbar in einer anderen Atomanlage gedreht.“
Nach offiziellen Angaben gab es alleine im vergangenen Jahr vierzig „meldepflichtige Ereignisse“ (Störfälle) in der Anlage in Karlsruhe. Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) spricht von 500 Störfällen im Verlauf der Betriebszeit der 1971 zu Forschungszwecken errichteten Wiederaufarbeitungsanlage, die Ende 1990 stillgelegt wurde. Der gravierendste davon: Anfang der 80er-Jahre „verschwanden“ insgesamt 37 unbestrahlte Brennelemente gefüllt mit 51,4 Kilogramm Natururan aus der WAK. Auch dieser Vorfall wurde Jahre lang verschwiegen. Die fehlenden Brennstäbe hatte man durch mit Blei gefüllte Attrappen ersetzt. Als die Sache nach der Schließung der Anlage 1991 ruchbar wurde, erklärten die Betreiber, dass 34 Brennelemente damals versehentlich für nuklearen Schrott gehalten worden seien. Für den Verbleib von 3 Brennelementen wurde keine Erklärung präsentiert. Personelle Konsequenzen zog der „mysteriöse und blamable Verlust“, so die Stuttgarter Zeitung, bis heute nicht nach sich.
Aktuell wehrt sich der baden-württembergische Umweltminister Ulrich Müller (CDU) gegen Vorwürfe aus den Reihen von SPD und Grünen, sich trotz ihm vorliegender Informationen über Sicherheitsmängel in der WAK nicht um deren Behebung gekümmert zu haben. Vor dem Landtag verwies der Minister am Donnerstagnachmittag auf ein Schreiben seiner Atomaufsicht an die WAK vom 7. Juni 2001, in dem die Intensivierung der Schulungs- und Belehrungsgespräche gerade mit Beschäftigten von Fremdfirmen verlangt worden sei. Ein anonymer Briefschreiber hatte genau das zuvor moniert. Zu spät für Joao „Johannes“ M. aus Landau. Der „Plutoniumdieb“ wusste offenbar nicht, was für ein Krebs erregendes Ultragift er Ende 2000 in der Hosentasche mit nach Hause nahm. Seine Wohnung ist mit „100 Millionen Becquerel“ (Müller) Radioaktivität verseucht und die seiner kontaminierten Lebensgefährtin auch.
Der von Bundesumweltminister Jürgen Trittin ultimativ verlangte Sachstandsbericht wurde nach Auskunft von Landesminister Müllers Sprecherin gestern Nachmittag „auf dem Dienstweg“ nach Berlin gesandt. Trittins Atomexperten werden sich damit beschäftigen – und die Atomaufsicht des Landes nächste Woche zum „dienstaufsichtlichen Gespräch“ bitten.
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