: Angst um sich selbst
betr.: „Ein Quäntchen Zivilcourage“ (Paul-Spiegel-Rede zum Bundeswehrgelöbnis), taz vom 21./22. 7. 01
Spiegel sagt, dass „eine der wichtigsten Traditionslinien (der Bundeswehr) zum 20. Juli zurückführt“ und dieser 20. Juli ein Symbol „für den gesamten deutschen Widerstand“ ist. Das ist ebenso richtig wie bedenklich, denn wer sich schon mal etwas näher mit den besagten „Widerständlern“ beschäftigt hat, der müsste eigentlich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn in einem „demokratischen“ Staat solche Personen auf einen Verehrungssockel gehoben werden.
Diesen Bedenken trägt Spiegel mit einem Satz Rechnung: „Wäre dieser aktive Widerstand nicht erst 1944, sondern bereits Anfang der Vierzigerjahre erfolgt, hätte ohne Zweifel das Leben von Millionen Menschen gerettet werden können.“ Auch das ist richtig, allerdings ein bisschen naiv, wenn man die Frage, die sich nach so einem Satz aufdrängt, nicht gestellt wird. Nämlich: Warum wurde der Anschlag erst 44 ausgeführt, wenn doch vorher Millionen von Menschen hätten gerettet werden können?
Die Antwort ist genauso einfach wie grausam: Der militärische Widerstand wollte gar nicht Millionen von Menschen retten, in erster Linie wollten sie sich bzw. die Organisation Wehrmacht retten. Daher auch der späte Termin, denn vorher lief für die Wehrmacht ja alles bestens und auch vor dem Krieg war die Wehrmacht begeistert von Hitlers Aufrüstungsplänen. [. . .] Als sich die Kriegsgunst gewendet hatte und die Wehrmacht die Niederlage nicht mehr ignorieren konnte, Hitler aber auf einem „Weiter so“ beharrte, erst da kamen Wehrmachtsoffiziere darauf, dass es auch ihr Untergang werden würde, und versuchten, Hitler aus dem Weg zu räumen.
Es hat also nichts, aber auch rein gar nichts, mit Zivilcourage zu tun, wie uns Spiegel glauben machen will, sondern schlicht und einfach mit Angst um sich selbst!
Wenn man nun noch die Pläne der Wehrmachtsoffiziere für die Zeit nach einem gelungenen Attentat dazu nimmt, dann wird es völlig unverständlich, warum diese Leute in einer Demokratie so gewürdigt werden. Nach dem Tod Hitlers sollte entweder eine Militärdiktatur oder das Kaiserreich neu entstehen. Verständlich wird jetzt natürlich auch, warum das Attentat erst so spät erfolgte: Vorher waren die Interessen des Militärs doch deckungsgleich bzw. sehr parallel zu Hitlers Interessen. [. . .]
Anstatt Militaristen auf Sockel zu stellen, wo diese nichts zu suchen haben, unter anderem weil sie zum Teil mitverantwortlich für dieses dunkle Kapitel unserer Geschichte sind, sollte man lieber richtige Widerständler wie zum Beispiel die Geschwister Scholl ehren, die tatsächlich versucht haben, etwas zu ändern, und dafür in jugendlichem Alter hingerichtet wurden.
BASTIAN BUSCH, Köln
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