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Drei Minuten drücken

Ein beinah unschlagbares Mittel gegen Sittenstrolche. Ein Erlebnisbericht

Telefon-Sittenstrolche wollen offensichtlich auf keinen Fall zurückgerufen werden

Das Verhältnis zwischen Sittenstrolchen und Kindern, Mädchen, Frauen ist klar festgelegt: Sittenstrolche lauern ihnen auf und entblößen sich, rufen an und reden Schweinkram, wenn es ganz schlimm ist, grapschen sie; und Kinder, Mädchen, Frauen fürchten und empören sich oder werden traumatisiert. So will es die Weltordnung, so war es schon immer, und so soll es bitte schön auch immer bleiben. Denn das ist auch richtig so! Aber mit Sittenstrolchen und mir ist eigentlich immer alles schief gelaufen.

Das fing schon im Grundschulalter an. Wir hatten damals eine Bande von sieben oder acht Mitgliedern, Jungs und Mädchen gemischt, und trieben uns im Münsterschen Südpark herum. Wir nannten uns „Die Mauerbande“, weil unser Versteck in einem Zwischenraum zwischen einer unscheinbaren halb eingerissenen, roten Ziegelmauer und einem verlassenen Werkstattgebäude lag.

Aus irgendeinem Grund war über einen ganzen Sommer das Thema „Sittenstrolche“ Top 1 auf unserer Tagesordnung, während wir uns dicht gedrängt hinter der Mauer quetschten. Sittenstrolche, die Gefahren, die sie bergen, was tun, wenn einer kommt, und „was sind überhaupt Sittenstrolche“. Sittenstrolche hatten was mit KWKW zu tun, das wusste Petra Heger, und was KWKW bedeutete, das wussten wir alle. Frank Starting wusste aber noch mehr: „Wenn ein Sittenstrolch kommt, holt er seinen Penis aus der Hose!“ Allgemeine Verwirrung: „Na und?“ Wolfgang Baer merkte jedoch etwas verdruckst an, dass es dabei aber, wie er gehört habe, nicht immer bliebe, sondern, dass Sittenstrolche auch manchmal Kinder erwürgen würden. Das jagte uns allen tatsächlich Angst ein. Es gebe aber ein unschlagbares Mittel, verriet uns Wolfgang Baer, solche Sittenstrolche außer Gefecht zu setzen: „Wenn er seinen Penis rausholt, dann muss man den nur anfassen, und drei Minuten feste drücken! Dann wird der Sittenstrolch ohnmächtig, und man kann weglaufen!“

Wir lachten uns über die Sittenstrolche erleichtert kaputt und hatten fortan keine Angst mehr vor ihnen. Wir verbreiteten diesen genialen Trick in der Schule, auf dem Spielplatz und im Schwimmbad und fühlten uns dabei wie Helden. Es hätte ein harmonischer Sommer werden können mit den Sittenstrolchen und der Mauerbande, wenn die Sittenstrolche nur mal aufgetaucht wären.

Heute frage ich mich, welchem genialen Sittenstrolch es wie gelingen konnte, ein derartiges Gerücht unter Kindern zu sähen, und ich bin ihm im Nachhinein doch sehr dankbar, dass er damals höflicherweise davon abgesehen hat, die Früchte seiner Saat auch zu ernten.

Viele, viele Jahre später hastete ich unter der Dusche hervor, weil das Telefon klingelte. Der Anrufer meldete sich mit „Hallo, hier ist Werner“. Ein paar Tage zuvor hatte sich ein Werner aus früheren Zeiten bei mir gemeldet, und ich sagte: „Hallo Werner, sorry, dass ich dich nicht zurückgerufen habe, ich habe gerade nicht viel Zeit, komme aus der Dusche, bin klitschnass!“ Werner fragte: „Bist du etwa nackt?“ Ich antwortete wahrheitsgetreu: „Splitterfasernackt und pitschnass, kann ich dich später zurückrufen?“ Werner sagte: „Das könnte schwierig werden.“ Ab da schwante mir etwas: „Werner, du bist doch nicht der Werner, der mich vor drei Tagen schon angerufen hat?“ Werner antwortete: „Nein, der bin ich wohl nicht, ich bin so eine Art Sittenstrolch, aber so macht das keinen Spaß“, und legte auf. Telefon-Sittenstrolche wollen offensichtlich nicht zurückgerufen werden, wenn man gerade keine Zeit für sie hat.

Einige Zeit darauf fand ich abends bei meiner Heimkehr ein leidenschaftliches Gestöhn auf meinem Anrufbeantworter vor, ein Herr erzählte mir, er sei . . . naja, man kann ahnen, was er mir bzw. meinem Anrufbeantworter so alles erzählte, und ich war sehr bezaubert, hatte ich doch längst die Stimme meines damaligen Geliebten erkannt, und ich freute mich sehr über eine so originelle Überraschung. Wieder und wieder hörte ich den Anruf ab und konnte mich gar nicht genug entzücken. Beim nächsten Besuch des Geliebten sprach ich ihm daher auch leicht errötend Dank. Er war es natürlich nicht, der Mann auf dem Anrufbeantworter – das ahnte jeder, aber charmant war seine Reaktion. Denn nun war er es, der vor der Maschine hockte und sich das leidenschaftliche Gestöhn wieder und wieder anhörte, wobei ihm ab und an ein geschmeicheltes „So höre ich mich auch an?“ entfuhr. CORINNA STEGEMANN

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