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Kauf mich!

Große Worte noch für das kleinste Angebot zu finden, gehörte schon zum Geschäft, lange bevor es die moderne Marktwirtschaft gab. Die heutige Form der Werbung ist lediglich die Fortführung der ewigen Versprechung ganz nach dem olympischen Motto: Mein Produkt ist besser, günstiger, wichtiger. Weil das nicht immer stimmt (gar nicht stimmen kann) und die Werbung vor allem mit Träumen spielt, haftet ihr allgemein der Ruf des Unseriösen an. Im Gegensatz dazu steht ihre wirtschaftliche Bedeutung. In der heutigen Konsumgesellschaft lässt sich praktisch nichts mehr (in Mengen) ohne Werbung verkaufen. Eine Folge: Jeder Deutsche sieht, konservativ geschätzt, zweihunderttausend Reklamespots bis zu seinem zwanzigsten Lebensjahr. Und: Die Konsumenten fühlen sich genervt wie nie.

Diese Leute haben in jüngster Zeit ein Buch besonders gern gekauft und zum Bestseller gemacht, das die Werbung mit deren ureigensten Waffen attackiert: der Roman „39,90“ von Frédéric Beigbeder (Reinbek 2001, Rowohlt, 271 Seiten, 39,90 Mark). Darin greift der Franzose schrill und aggressiv die Branche als eines der Grundübel unserer Zeit an. Seinen besonderen Kick erhält der Roman, der die Verlogenheit der Werbewelt bloßstellt, dadurch, dass der Autors selbst jahrelang als Werbetexter gearbeitet hat. Was ihn zu der These veranlasst, dass nichts weniger als die ganze Welt bedroht werde durch die Lügenmaschinerie der Werbeindustrie, die genauso schlimm sei wie einst die Propagandamaschinerie der Nazis.

Ein zweiter Besteller der Konsumismuskritik ist das Buch „No Logo!“ (München 2000, Bertelsmann, 480 Seiten, 48 Mark), in dem die kanadische Journalistin Naomi Klein die Marken als neue Bedrohung der Menschheit geißelt und die Unternehmen bezichtigt, die Kunden zu „Sklaven der feudalen Markenherren“ machen zu wollen. Kleins Vorwurf: Die Marken würden kulturellen Raum konsumieren, indem sie wie Nike komplette Sportveranstaltungen aufkauften. Außerdem behinderten Marken den Wettbewerb durch Exklusivklauseln mit ihren Händlern, zudem würde der teure Markenaufbau die Hersteller zum extrem billigen Produzieren zwingen, bis hin zur Kinderarbeit in Entwicklungsländern.

Auch an der Konsumentenbasis wächst der Unmut. Seit geraumer Zeit gibt es in den USA jährlich den Konsumverweigerungstag „Buy Nothing Day“. Der findet zwar in Deutschland noch wenig Beachtung, aber auch hierzulande gibt es zunehmend Widerstand gegen den vom „größten Propagandaapparat der Welt“ (Der Spiegel) geschürten Markenwahn.

Eltern und Lehrer, die die Werbung nicht nur als Belästigung, sondern als Torpedierung der Erziehung ansehen, probieren radikale Maßnahmen gegen den Markenterror. In Hamburg und Berlin gibt es – zum Teil von Unternehmen gesponserte – Versuche, dem teuren Markenzwang durch die Einführung von Schuluniformen Einhalt zu gebieten. Auch das Bundesland Hessen plant einen Modellversuch mit Schuluniformen.

Es dürfte wenig daran ändern: Die Marken sind die neue Religion, wie die amerikanische Werbeagentur Youngs & Rubicam nach einer weltweit durchgeführten Studie in bestem Werbeparolensprech festgestellt hat. Was der Verzicht auf die Schönredner der Werbewelt auch bedeuten kann, zeigt die von der Agentur erstellte Markenhitliste von Deutschland: Auf dem ersten Platz steht dort Aldi – und das ganz ohne Imagewerbung.

GUNNAR LEUE

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