: Weise und undurchdringlich
Immer schön die Deutungshoheit behalten: Erst seit wenigen Jahren gibt es Versuche, Asian Americans im amerikanischen Film von Stereotypen und standardisierten Szenarien zu befreien
von ANKE LEWEKE
Am Anfang war Hop Sing. An den Fernsehsonntagen meiner Kindheit gab der Mann am Herd der „Bonanza“-Ranch mit seinem Aus-R-mach-L-Akzent und den konfuzianischen Binsenweisheiten die perfekte Vorstellung vom Chinesischsein. Die Bratpfanne, die nur zweckentfremdet wurde, um den verfressenen Hoss aus der Küche zu treiben, war dabei seine größte Waffe. Eine postkoloniale Funktionszuschreibung, die sich auch mit empirischen Werten deckte: Anfang der Siebzigerjahre öffnete das erste chinesische Lokal in unserem Provinznest seine Pforten. Als ich jetzt auf einer „Bonanza“-Website auf ein Foto von Hop Sing traf, fühlte ich mich allerdings um ein wesentliches Element betrogen. Wo war das fein geflochtene Zöpfchen am Hinterkopf geblieben? Da hatte die eigene Erinnerung das Klischee doch glatt weitergesponnen.
Dabei hatte Victor Sen Yung, der Darsteller von Hop Sing, noch so etwas wie Glück im Unglück. Denn über viele Jahrzehnte wurden die so genannten yellow faces im amerikanischen Film von weißen Schauspielern gespielt – noch vor kurzem erklärte die Neuauflage des Hollywood-Standardwerks „The Complete Make-up Artist“ in aller Selbstverständlichkeit, wie man in Minutenschnelle aus einem „Kaukasier“ einen „Orientalen“ zaubert. Führt man sich vor Augen, wie der schwedische Darsteller Nils Asther für Frank Capras Film „Bitter tea of General Yen“ (1933) zum Chinesen umgemodelt wurde, kann man schon eine Gänsehaut bekommen.
Die übliche Methode, bei der die äußeren Augenlider straff nach oben gezogen und an den Schläfen festgeklebt wurden, gefiel Capra nicht, „weil die Schauspieler dann eher scheußlich als orientalisch aussehen“, wie er in seiner Autobiografie schrieb. Also suchte er eine „natürlichere Methode“. Capra ließ Asthers obere Augenlider mit glatten falschen Häuten bedecken und seine Wimpern fast ganz abschneiden. Durch das Verfahren zog sich der wimpernlose Sino-Schwede im Scheinwerferlicht allerdings eine fürchterliche Bindehautentzündung zu. „Auf der Leinwand sah er eigenartig aus – unergründlich“, notierte Capra zufrieden.
Von Anfang an behielt sich die amerikanische Populärkultur vor, ihr eigenes, von Stereotypen und Ressentiments bestimmtes Bild der asiatischen Kultur zu konstruieren. Es ging darum, die Deutungshoheit über eine als zugleich weise und undurchdringlich empfundene Welt zu bewahren, unter anderem indem man darauf achtete, dass Zeichen und Ikonografie die Vorurteile des Publikums bestätigten und die gängigen Bilder bedienten.
Weißer Kung-Fu
Asiaten im amerikanischen Film – das ist auch eine traditionsreiche Geschichte der Diskriminierung durch Ausschluss. Dass nicht Bruce Lee die Hauptrolle in der Siebzigerjahre-Fernsehserie „Kung-Fu“ erhielt, sondern der völlig kampfunerprobte David Carradine zur emblematischen Verkörperung fernöstlicher Weisheit werden sollte, ist eines der berühmtesten Beispiele für die zwiespältige Haltung der US-Unterhaltungsindustrie im Umgang mit Asiaten. In den Dreißiger- und Vierzigerjahren waren es die Helden der beiden Detektivserien „Mr. Moto“ und „Charlie Chan“, die von „asiatisierten“ Schauspielern dargestellt wurden. Peter Lorre oder E. L. Park, Warner Oland und Sidney Toler durften positive Zuschreibungen an die fremde Kultur ausspielen und erfreuten sich dabei größter Populärität – Charlie Chan ist nach Sherlock Holmes die meistverfilmte Detektivfigur. In westlicher Hinsicht kultiviert und gebildet, brachten die chinesischen Private Eyes stets auch noch ein etwas anderes Wissen mit, das beim Auflösen der Kriminalfälle durchaus dienlich war. Im Laufe seines fast fünfzehnjährigen Seriendaseins entwickelte sich die Figur des Charlie Chan gar vom draufgängerischen Einzelgänger zum höflichen Familienvater.
Doch so sehr das so genannte Andere auch an die eigene Gesellschaft angepasst wurde, die Gesichter der Schauspieler waren stets so geschminkt, das eine Spur von Durchtriebenheit im Mienenspiel gegeben war. In ihrem galanten Gentlemen-Auftreten bildeten die beiden Detektive eine Art Korrektiv für den skrupellosen und raffgierigen Doktor Fu Man Chu, einen weiteren Kino-Serienhelden jener Zeit. Unter anderem verzerrte Boris Karloff, der Bösewicht vom Dienst, für sechs Folgen sein Gesicht zu einer Furcht einflößenden Fratze, wobei seine Brauen ein diabolisches Dreieck mit einem unsichtbaren dritten Auge zu bilden scheinen. Dass Fu Man Chu, der tyrannische Schreckensherrscher aus der tiefsten Mongolei, in Harvard, Oxford und an anderen westlichen Elite-Universitäten studiert hatte, machte ihn umso gefährlicher.
Fu Man Chu ist gewissermaßen ein Paradebeispiel für die von Kracauer beschriebenen unbewussten Kollektivängste, die durch mediale Darstellungen transportiert werden: Die von Fu Man Chu verkörperte „Gelbe Gefahr“ („yellow peril“) – entspricht der im Verlauf der ersten großen asiatischen Einwanderungswelle nach England und die USA auftretenden Angst, dass sich die Fremden der westlichen Kultur „bemächtigen“ und sie zu feindlichen Zwecken benutzen.
Angst und Respekt, Misstrauen und Anerkennung – es ist diese Ambivalenz, die den amerikanischen Umgang mit der asiatischen Kultur von der wesentlich eindeutigeren und verächtlichen Haltung zur Afroamerikanern unterscheidet, deren Unterdrückungsgeschichte in den Filmen letztlich weitergeschrieben und verfestigt wurde. Interessanterweise werden Doktor Fu Man Chu im 1932 entstandenen Film „The Mask of Fu Man Chu“ Schwarze als Sklaven zugestanden. Nur mit Lendenschurz bekleidet, kommen ihre muskulösen Körper besonders gut zur Geltung und müssen als menschliches Versuchsmaterial für die Post-Oxford-Experimente des schrecklichen Doktors herhalten.
Interkulturelle Liebe
Trotz dieser relativ privilegierten Stellung innerhalb der Hackordnung kultureller Stereotype gab es für das asiatische Personal im Hollywoodfilm auch unerschütterliche Tabus – zum Beispiel was interkulturelle Liebschaften betrifft. In Capras „Bitter Tea of General Yen“ hat Barbara Stanwyck, die eine Missionarin aus Neuengland spielt, einen merkwürdigen Traum, in dem ihre unbewussten Wünsche zum Vorschein kommen: Zunächst erscheint ihr Entführer, General Yen, als fast schon Comic-hafte Karikatur eines Asiaten mit Krallen als Fingernägel und weit aufgerissenem Vampirmund. Schon ist ein Retter zur Stelle – wieder erscheint General Yen, doch diesmal im westlichen Anzug. Mit dem nun folgenden langen und tiefen Blick in die Augen hat die Romanze zwischen Amerikanerin und Chinese aber auch schon ihren Höhepunkt erreicht. Liebeserklärung, Tränen, Opfertod des Geliebten. In England und den Ländern des Commonwealth wurde „Bitter Tea of General Yen“ verboten, „wegen der schockierenden Implikationen, die eine Liebesaffäre zwischen einem gelbhäutigen Mann und einer weißen Frau mit sich brachte“, so Capra.
Aufgrund solcher vorgegebenen „Ethnodramaturgien“ drehte die in Hollywood gefeierte Chinesin Anna May Wong der Traumfabrik zeitweilig den Rücken, um ihre Karriere in Deutschland und England fortzusetzen – nach eigenen Angaben konnte es Wong nicht mehr ertragen, dass ihr nie ein romantisches Ende vergönnt war. Wer sich mit den Stereotypen arrangierte, konnte allerdings richtig Karriere machen. So war der aus Japan stammende Schauspieler Sessue Hayakawa über fünf Jahrzehnte lang ein Spitzenstar mit Supergehältern und einem 32-Zimmer-Schloss. Nebenbei schloss er ein Studium der Politikwissenschaften ab, war Zen-Priester, Judo-Kenner, Shiatsu-Meister und beglückte die Hollywood-Gemeinde mit Ausstellungen seiner Seidenmalereien.
Bei einer so langen Karriere blieb es nicht aus, dass sich seine Rollen hin und wieder nach dem Wind der amerikanischen Außenpolitik zu richten hatten. Als Hayakawa 1915 in Cecil B. Demilles „The Cheat“ einen japanischen Kaufmann spielte, der seine Geliebte mit einem glühenden Eisen brandmarkte, wurde die Rolle noch während der Dreharbeiten umgeschrieben: Da die Japaner im Ersten Weltkrieg auf Seiten der Alliierten kämpften, wurde aus dem japanischen Geschäftsmann eine in rötlichen Einstellungen verfremdete, nurmehr diffus-asiatische Figur und Projektionsfläche.
Im Grunde gibt es erst seit einigen Jahren den Versuch, die Präsenz asiatischer Figuren aus den tief verwurzelten, standardisierten Szenarien zu lösen. Ein Anliegen, das seit den Achtzigern vor allem von sinoamerikanischen Regisseuren verfolgt wird. Dass man dennoch nicht von einer einheitlichen Emanzipationsbewegung sprechen kann, hängt mit den unterschiedlichen Kulturen und Herkunftsländern der Filmemacher zusammen. Sozusagen als Einzelkämpfer mit der Kamera als Waffe begann beispielsweise der Hongkong-Chinese Wayne Wang seine Kinokarriere. Wangs erste Filme („Chan is missing“, 1981; „Dim Sum“, 1985) entstanden in seiner Community in San Francisco aus dem Alltag heraus und betrieben eine fröhliche Dekonstruktion der Stereotypen.
Durch den Erfolg dieser Independent-Arbeiten konnte Wang seine Themen auch in Hollywood einschleusen. „Joy Luck Club“ – „Töchter des Himmels“ (1993) ist ein groß angelegtes Melodram, in dem es um vier amerikanisierte Chinesinnen geht, die sich immer wieder zum traditionellen Mahjong-Spiel treffen. Es geht um ein nur auf den ersten Blick monolithisches Asiatentum, das sich auf den zweiten in vier völlig unterschiedliche Immigrantenschicksale aufteilt und dabei geografisch, psychologisch, sozial und familiengeschichtlich ausdifferenziert. Anders als sein ebenfalls in den Staaten etablierter taiwanesischer Kollege Ang Lee bleibt Wang allerdings auf einer beschreibenden Ebene. In Filmen wie „Pushing Hands“ (1992) oder „Das Hochzeitsbankett“ (1993) gelingt es Lee, dem culture clash neue Lebensmodelle und soziale Utopien abzugewinnen, die über das ewige Gerede von der kulturellen Identität weit hinausgehen.
Auch wenn die Lebensumstände der asian-americans immer häufiger Thema werden, kann von einem selbstverständlichen Umgang noch längst nicht die Rede sein. So beklagen Wang und die Kollegen, dass sich die Studiobosse bei der Wahl asiatischer Schauspieler immer noch auf Stars wie beispielsweise Chow Yun Fat und Michelle Yeoh kaprizieren, ob sie nun zur Rolle passen oder nicht. Auch die Semantik scheint noch hinter dem Bewusstsein hinterherzuhinken. Solange Wayne Wang noch als „Woody Allen von Chinatown“, Ang Lee noch als „Bruder von John Sayles“ und John Woo als „Hongkongs Spielberg“ bezeichnet wird, ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.
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