Die Mentalität des Siegers

Erfolgstrainer Fabio Capello will mit dem AS Rom den angeknacksten Ruf des italienischen Fußballs in Europa reparieren und den Meister der Serie A zum Gewinn der Champions League führen

aus Berlin MATTI LIESKE

Fabio Capello redet nicht lange um den heißen Brei herum, wenn er gefragt wird, was den AS Rom nach Berlin geführt hat. „Es wird eine lange und schwere Saison für uns. Hier schaffen wir die Grundlagen dafür.“ Genauso offen tut der Coach kund, was am Ende dieser schwierigen Vor-WM-Saison stehen soll: „Die Verteidigung des italienischen Meistertitels und der Gewinn der Champions League.“ Dass ein Team, welches in der Serie A triumphiert hat, zu einem derartigen Double fähig ist, steht für Capello außer Zweifel, und dass er der geeignete Trainer ist, dieses Ziel zu erreichen, sowieso: „Ich habe das schließlich schon 1994 mit dem AC Mailand geschafft.“

So bärbeißig, wie er in den Berliner Testspielen vor ein paar tausend Zuschauern gegen Ajax Amsterdam (2:1) und Galatasaray Istanbul (1:1) seine Spieler vom Spielfeldrand aus in die vorgesehenen Positionen scheucht, so umgänglich präsentiert sich der Erfolgscoach im Gespräch mit den Journalisten. Capello, der viermal mit Milan den begehrten Scudetto gewann und mit Real Madrid spanischer Meister war, genießt es sichtlich, dass die Mannschaft unter seiner Ägide nach 18-jähriger Durststrecke endlich mal wieder Champion in Italien geworden ist. Dass er ein ungewöhnlicher Coach ist, zeigt die Wahl des Schauplatzes der Saisonvorbereitung. Während andere Trainer ihre Leute in abgeschiedene Sportschulen sperren und durch einsame Wälder jagen, dürfen die Römer schon zum zweiten Mal das pulsierende Großstadtleben aufsuchen und, je nach persönlicher Vorliebe, auch genießen. Mittelfeldwühler Damiano Tommasi fasziniert besonders im östlichen Teil der Stadt „die Mischung aus Neu und Alt“, Nationalstürmer Francesco Totti dagegen gewährte dem Jungtalent Antonio Cassano zur Belohnung für dessen Tor gegen Ajax das Privileg, mit ihm des Abends um die Häuser ziehen zu dürfen.

Blamiert von Underdogs

Dass sowohl historische Wissbegier als auch Vergnügungssucht im Rahmen blieben, dafür sorgte Fabio Capello, der bei aller Verbindlichkeit finster entschlossen ist, nicht nur in Italiens Liga, die in einer Woche beginnt, aufzutrumpfen, sondern vor allem auf europäischer Ebene die Blamagen der letzten Saison vergessen zu machen. Noch immer hat man in Italien nicht verwunden, dass schon die Viertelfinals in Champions League und Uefa-Cup ohne die eigenen, viele Millionen schweren Klubs vonstatten gingen; dass das große Juventus Turin in der ersten Runde der Eliteliga an Underdogs wie Hamburger SV und Panathinaikos Athen scheiterte; dass sich Meister Lazio Rom in der zweiten Runde nicht gegen den RSC Anderlecht und Leeds United behaupten konnte; dass der AS Rom im Achtelfinale des Uefa-Cups über den FC Liverpool stolperte; und dass ausgerechnet im Mailänder Stadion von San Siro das als große Fußball-Oper zelebrierte Finale der Champions League von zwei in den Augen der Italiener völlig unwürdigen Mannschaften wie Bayern München und FC Valencia bestritten wurde, die dann in einem jämmerlichen Match auch noch alle Vorurteile bestätigten.

Absturz als Episode

Eine Erklärung für den Absturz des italienischen Fußballs hat bis heute niemand gefunden. „Das zeigt eben, wie schwer es in der Champions League ist“, sagt Roms Stürmer Gabriel Batistuta lahm. Für Capello ist die leidige Angelegenheit „nur eine Episode“ und kein Grund zu nationaler Trauer. „Das wird sich nicht wiederholen“, ist der Trainer überzeugt. Schon gar nicht für seinen AS Rom, der in der Vorbereitung den FC Arsenal und die Boca Juniors geschlagen hat und bei dessen Spielern er „einen größeren Siegeswillen als im Vorjahr, einen größeren Glauben an unsere Ziele“ beobachtet hat.

Die meisten italienischen Spitzenklubs versuchen, mit neuem Personal Europas Fußball zurückzuerobern. Juventus verlor zwar Zinedine Zidane an Real Madrid, holte aber dafür den Rackerer Pavel Nedved von Lazio Rom, den französischen Verteidiger Lilian Thuram aus Parma und leistete sich obendrein Nationalkeeper Gianluigi Buffon, für den ebenfalls an Parma mehr als 100 Millionen Mark gezahlt wurden. Bei Lazio soll der Spanier Mendieta den Tschechen Nedved und den nach Manchester abgewanderten Juan Verón in Personalunion ersetzen, während Inter nach verkorkster Saison auf den neuen Coach Héctor Cúper und die Genesung von Ronaldo setzt, für alle Fälle aber noch den 19-jährigen brasilianischen Wunderstürmer Adriano sowie die Türken Emre und Okan verpflichtet hat. Der AC Mailand will mit dem Portugiesen Rui Costa und dem bei Juve in Ungnade gefallenen Stürmer Filippo Inzaghi wieder ganz nach oben.

Fabio Capello dagegen setzt beim AS Rom auf Kontinuität und den psychologischen Schub durch den Titelgewinn. Der Glaube an sich selbst, die Mentalität des Siegers, ist für den 55-Jährigen ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg. Abgegeben wurde der Japaner Nakata, der nach Parma ging, hinzu kam für 50 Millionen Mark aus Bari der 19-jährige Cassano, dem Capello ein riesiges Talent bescheinigt, aber noch keine tragende Rolle zutraut: „Er muss reifen und noch viel lernen.“

Ausgleich durch Batigól

Das zeigte sich auch am Mittwoch beim Testspiel gegen Galatasaray Istanbul. Cassano spielte eigensinnig, übereifrig und nervös, sodass der Kneipenabend mit Totti diesmal wohl ausfiel. In einem trotz gewaltiger Hitze engagierten und teilweise giftigen Match ließen die Römer gegen die Türken, deren Saison bereits begonnen hat, zwar Präzision und Zweikampfstärke vermissen, zeigten aber auch ohne die noch verletzten Brasilianer Cafú und Emerson, wie ihr Spiel funktionieren soll: schnelle Kombinationen über die Flügel – Batigól. Das klappte kurz vor Schluss, als Gabriel Batistuta nach Flanke von Delvecchio zum Ausgleich traf. Fast zur selben Zeit qualifizierten sich in Quito seine argentinischen Kollegen durch ein 2:0 gegen Ecuador für die WM 2002. Trotz seiner 20 Tore für Rom in der letzten Saison hat „Batigól“ seit Dezember nicht mehr in der Auswahl gespielt und Capello muss sich um seine Motivation nicht sorgen. Angesichts der Fülle herausragender argentinischer Stürmer braucht Batistuta eine gute Saison beim AS Rom, um sein großes Ziel zu erreichen: Gerd Müller als WM-Rekordtorschütze zu verdrängen. Fünf Treffer fehlen dem Argentinier noch.