: Zwei Gegentore, die wie Schlangenbisse wirken
Beim 2:3 gegen Energie Cottbus verliert Hertha BSC erneut eine überlegen geführte Bundesligapartie durch Selbstaufgabe nach Rückstand
BERLIN taz ■ Wäre Sonntagabend jemand in den Presseraum des Berliner Olympiastadions geplatzt, der gerade von einem langen Urlaub auf einer einsamen Insel zurückkam und keine Ahnung hatte, wie Hertha BSC in die Bundesligasaison gestartet ist – ein Blick ins Gesicht von Jürgen Röber hätte genügt, ihn darüber aufzuklären. Gequält ist ein sanftes Wort für den Ausdruck, den der Trainer der Berliner meist aufgesetzt hatte, gelegentlich begannen die Augen wütend zu blitzen – immer dann, wenn er auf die Gegentore beim 2:3 im Heimspiel gegen Energie Cottbus zu sprechen kam – und manchmal breitete sich schiere Verzweiflung in Röbers Zügen aus. „Das stinkt mir gewaltig“, brach es dann aus ihm heraus, „wenn wir drei Punkte holen, dann sind wir Fünfter und alles ist im grünen Bereich.“ Stattdessen ist plötzlich alles tiefrot.
Noch nie zuvor war Hertha BSC mit so vielen Vorschusslorbeeren in eine Saison gestartet, nachdem in ansehnlicher Weise der Ligapokal geholt worden war, noch nie zuvor hatte man so mutig seine Anwartschaft auf einen der obersten Plätze verkündet. Mindestens neun Punkte waren in – wohlgemerkt realistischen – Schätzungen für die ersten vier Spiele veranschlagt, geworden sind es vier. Drei davon gab es kurioserweise beim Match in Freiburg, wo nicht unbedingt mit Punktgewinn zu rechnen war. Die Heimspiele gegen Dortmund (0:2) und Cottbus hingegen gingen verloren, bei St. Pauli sprang nur ein 0:0 heraus – dies, obwohl all diese Partien von einer großen Feldüberlegenheit der Berliner geprägt waren. So gesehen stellt Hertha das negative Spiegelbild des 1. FC Kaiserslautern dar, der bisher meist verheerend spielte, aber immer gewann.
Rasant und offensiv
Das Match gegen Cottbus darf dabei als durchaus symptomatisch für Herthas Spiel gelten. Im Gegensatz zu früheren Zeiten lässt Röber seine Mannschaft in dieser Saison bedingungslos offensiv agieren. Der allgegenwärtige Brasilianer Marcelinho, ohne Zweifel der beste Fußballer, der je ein Hertha-Trikot trug, treibt das Team rasant voran, alle Spieler rücken weit auf. Ein System, das funktioniert, wenn vorne Tore fallen und die Abwehr bei gegnerischen Kontern hinten gut und aufmerksam steht. Beides funktioniert bisher nicht.
Trotz allen Ballzaubers im Mittelfeld konnten gegen die massiv defensiv eingestellten Gegner aus St. Pauli, Dortmund und Cottbus kaum klare Torchancen herausgespielt werden, und es ist kein Zufall, dass es ausgerechnet beim 3:1 gegen die ihrerseits offensiven Freiburger besser klappte. Das 1:0 durch Marcelinho gegen die bis dahin völlig harmlosen Cottbusser schien wenigstens das Spiel am Sonntag bereits entschieden zu haben. Doch dann kamen zwei Szenen, über die sich Röber vermutlich noch die kommenden drei Wochen bis zum nächsten Bundesligaspiel in Stuttgart tagtäglich ereifern wird. „Situationen, in denen wir maßlos gepennt und geschlafen haben“, schimpfte der Trainer. Zwei Flanken, die niemals zugelassen werden dürfen, zwei Kopfbälle von da Silva und Kobylanski, die jede Abwehr verhindern muss – schon stand es 1:2.
Bereits der Ausgleich wirkte auf die Berliner wie ein Schlangenbiss. Während das Team von Eduard Geyer nun zeigte, dass es auch ohne den verletzten Miriuta forsch und präzise zu kontern versteht, wirkten die Herthaner auf einmal wie gelähmt und schauten in Abwesenheit des verletzten Deisler nur noch auf Marcelinho. Der hatte, motiviert durch sein erfolgreiches Debüt in der brasilianischen Nationalmannschaft, das ganze Spiel über versucht, gleichzeitig die Rolle eines Effenberg zu spielen, der sich die Bälle in der eigenen Abwehr holt, und die eines Rosicky, der mit in die Spitze geht. Zwar wird der Brasilianer in seinem Team viel mehr akzeptiert und gesucht als zum Beispiel Rosicky in Dortmund, doch als in der Schlussphase Marcelinhos Kräfte erlahmten, zeigten sich die klassischen Nachteile eines klassischen Spielmachersystems: Wenn beim Regisseur nichts mehr läuft, läuft überhaupt nichts mehr. So war es bitter, aber auch bezeichnend, dass ein Ballverlust des aufopfernd, aber unökonomisch rackernden Brasilianers das 1:3 (80.) durch seinen Landsmann Brasilia einleitete, dem Preetz nur noch einen Treffer in der Nachspielzeit entgegensetzen konnte.
Während Cottbus nach den bisherigen Leistungen mit dem Abstieg nichts zu tun haben dürfte, kommt es bei den Berlinern darauf an, das Spiel auf eine breitere Basis zu stellen, was bei Rückkehr von Deisler kein Problem sein sollte, und darauf zu vertrauen, dass überlegener Fußball auf Dauer die entsprechenden Ergebnisse zeitigt. Die Frage ist, ob man im Verein die dazu nötige Ruhe bewahrt. Nach den Erfahrungen der Vergangenheit ist damit eher nicht zur rechnen. MATTI LIESKE
Hertha BSC: Kiraly - van Burik - Rehmer, Konstantinidis - Hartmann (59. Pinto), Maas (72. Neuendorf), Beinlich (68. Dardai), Goor - Marcelinho - Alves, PreetzEnergie Cottbus: Piplica - Sebök - da Silva, Kaluzny - Reghecampf, Thielemann, Akrapovic, Termina (82. Scherbe), Kobylanski - Labak (77. Helbig), Topic (77. Brasilia)Zuschauer: 42.791; Tore: 1:0 Marcelinho (26.), 1:1 da Silva (56.), 1:2 Kobylanski (64.), 1:3 Brasilia (80.), 2:3 Preetz (90.)
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