: Nix zu sehen
Oder doch ein bisschen? Klingonentechnik und Orbit-Materialen auf der Hamburg/Petersburger „re//MIR“-Ausstellung ■ Von Hajo Schiff
Brutal überfallen die Besucher im Eingang Bild und Ton von um sich ballernden Raumfahrern: Ein Zusammenschnitt von Zerstö-rungslust aus einem der Alien-Filme. Rechts um die Ecke hängt eine große Zeichnung mit Entwürfen zum Wiederaufbau der Berliner Mauer, und darüber schweben 15 aufgeblasene Präservative, gefüllt mit kleinen Objekten... und das ist erst der knallige Anfang einer übervollen Zusammenstellung, die den kreativen Charme junger Hochschulkunst versprüht.
Was da am Montag abend in der Galerie arts agents gezeigt und gefeiert wurde, ist aber weniger eine Kunstausstellung, als das kurzfris-tig Vorzeigbare eines langfristigen Kommunikationsprojekts zwischen 13 Künstlern aus St. Petersburg und 20 Studenten der Hochschule für bildende Künste. Ausgehend vom letztjährigen Media Art Festival in Russlands zweitgrößter Stadt und parallel zu den Vorbereitungen der Hamburger Kulturbehörde zur Ostsee-Biennale ArtGenda, die nächstes Jahr in Hamburg stattfindet, knüpfte die Hamburger Künstlerin und Hochschullehrerin Nicola Torke intensive Kontakte zu Hamburgs Partnerstadt. Heraus kam das Projekt >>re//MIR<<< em="">, eine Austausch-Kooperation, deren erster Teil im Mai in der Galerie Borey in St. Petersburg über die Bühne ging.<<>
Nicht nur der Name Frieden steht dem Projekt gut an, die (mit diesem Begriff ja jahrzehntelang so großzügig operierende sowjetische) Raumfahrt ist ja auch eine schöne Metapher für Kulturaustausch. Und was die notorische Subjektivität der Künstler angeht: MIR kann ja letztlich auch als eine Form des Wortes ICH gelesen werden.
Die künstlerischen Ansätze, die die Schau präsentiert, sind indessen verwirrend vielfältig: schwarze Weltraumzeichnungen und rote Tulpenfelder, Goldfolie aus dem Orbit und Karussellraketen aus Pappe. Dazu Fernsehen für Plastiktiere und ein bisschen Porno, aber durchaus auch die Fotodokumentation des nicht ganz unproblematischen Konzepts, alle besuchten Orte in Stein zu hauen. Besonders charmant ist dabei der Kosmonautenkontrollraum: Unter Weltraumfahrerbriefmarken-Ölbild und einer Charles-Wilp-Collage aus echtem Weltraumabfall wurde eine raumfüllende Konsole mit Uralt-Technik zusammengebaut, mit der so gerade noch alles unter Kontrolle zu halten ist. Wahlweise können mit dieser kaum fertig gewordenen Klingonentechnik Original-Sounds der brummenden Kunstparty oder vom Klo abgehört werden; auch Filme von Modellbauraumgleitern im Wohnzimmergrün oder von Geschlechterbegegnungen unter dem Motto Mission Impossible können so betrachtet werden.
Und alles erinnert die Westler an die Nachtsendungen zur Mondlandung mit der aus heutiger Sicht unsäglichen Ästhetik der verwaschenen Bilder und Kommentare wie: „Wie Sie sehen, sehen Sie nichts.“ Denn Design verbirgt in der westlichen Raumfahrt die einfachen Schaltkreise und auch ein anderes, großes Objekt: Es ist der Zeichenautomat von Karin Haenlein, dessen Funktionsweise von außen nicht zu sehen ist, der aber ständig Bilder derjenigen ausspuckt, die das Gerät betrachten.
Ein ganz besonderer Gast des Austauschprojekts ist die Flower-Power-Werbe-Legende Charles Wilp. Der Werbefotograf und Documenta-Teilnehmer ist inzwischen ein fanatischer Verfechter der Weltraumkunst. Er hat selbst diverse Erfahrungen in der Schwerelosigkeit gemacht und schaffte es tatsächlich, einige Kunstwerke ins All befördern zu lassen.
Doch auch seine obsessive Kunsttheorie und die Erzählungen von Sternenstaub, Raumschleim und Engelssperma können eine gewisse Nostalgie kaum überdecken. Und Collagen werden künstlerisch ja kaum besser dadurch, dass das Material schon mal im Orbit war.
So bleibt gerade das Foto von den verglühenden Teilen der ausgedienten MIR am eindrucksvollsten. Bei aller Phantasie freisetzenden Kraft der Weltraumfahrt: Auf der Erde bleibt noch genug zu tun. Und sei es eben, Künstlerbegegnun-gen wie diese zu organisieren.
Galerie arts agents, Klopstockplatz 9 – 11, 11 – 18 Uhr, nur bis 23. August. Katalog: Hardcover-Leporello (in englisch) 25 Mark
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