: Die Sehnsucht des Roboters
„Ich finde es wichtig, die Leute vor den Kopf zu stoßen“: Die Musikerin Nic Endo hat mit „Cold Metal Perfection“ ein sperriges Album gemacht, das nicht das Maschinelle, sondern das Menschliche betont
von ANDREAS HARTMANN
Das Treffen mit Nic Endo findet in einem dieser charakterlosen Mitte-Edelcafés am Gendarmenmarkt statt. Hier hat Nic Endo normalerweise nichts zu suchen, aber da sie selbst eher selten in Berlin ist, hat sie so etwas wie eine liebste Plauderstube für Interviews nicht.
Nic Endo ist in Texas geboren, ihr Vater ist Deutscher, ihre Mutter Japanerin. Nachdem sie einjährig mit ihrer Familie nach Frankfurt gezogen ist, hat es sie 19 Jahre später nach Berlin verschlagen, ohne dass sie hier richtig angekommen wäre. Sie fühlt sich nicht besonders wohl in Berlin und hält sich, obwohl sie eine Wohnung in Neukölln besitzt, lieber abwechselnd in Japan, Amerika und London auf.
Jetzt ist sie wieder in Berlin, und sie ist unzufrieden. Das Mastering für ihre neue Platte „Cold Metal Perfection“ ging völlig in die Hose. Erste Exemplare davon landeten trotzdem in den Läden, bevor sich Nic Endo zum letzten Feinschliff nach London begeben konnte, um die Klangfarbe der Platte ihren Vorstellungen anzugleichen. Durch das schludrige Mastering wurden nicht bloß die überempfindlichen Rezeptoren einer perfektionistischen Künstlerin beleidigt, sondern die gesamte programmatische Ausrichtung der Platte hatte Schlagseite bekommen. Nach Meinung von Nic Endo klang „die erste Version der Platte wie eine MP3, sehr synthetisch. Wäre es dabei geblieben, hätte das das Scheitern meines eigentlichen Ansatzes bedeutet.“
Dieser Ansatz liegt genau darin, eine Antithese zur durch den Plattentitel nahe liegenden „Cold Metal Perfection“ zu generieren, das Menschliche und nicht das Maschinelle an ihrer Musik zu betonen. „Die Idee dahinter stammt aus einem Manga, in dem es darum geht, wie ein Roboter versucht, Mensch zu werden. Es geht um die Sehnsucht des Roboters, unberechenbar zu sein.“ Menschliche Unzulänglichkeiten, auch im Umgang mit der Technik, darum geht es ihr. „Ich habe die Platte deshalb in den Abbey-Road-Studios nochmals gemastert. Dort, wo schon die Beatles hantiert haben. So habe ich genau den analogen Touch hinbekommen, den ich wollte.“
Analog gegen die Dystopie des Posthumanismus. Aber eigentlich sind Cyborgfantasien für sie Kitsch, obwohl sie sich gelegentlich ein gezacktes japanisches Schriftzeichen auf ihre rechte Gesichthälfte malt, das durchaus die Assoziation von offen gelegten Verdrahtungen eines Cyborgs erzeugt. Nic Endo stellt klar: „Menschmaschine zu sein, bedeutet Anpassung an die Technik, anstatt sie sich zu unterwerfen.“
Sich selbst etwas unterwerfen, dagegen ankämpfen, das ist das Vokabular von Nic Endo. Nicht nur, wenn es darum geht, ihren exzessiven Drang zur Tüftelei mit elektronischem Equipment zu beschreiben. Die Dominanz der Männer in allen Bereichen, aber für sie speziell in der elektronischen Musik, muss geändert werden. Daher auch das japanische Symbol für Widerstand in ihrem Gesicht: „Die Medien haben mich immer als das nette Mädchen wahrgenommen. Das Symbol hat die Funktion einer Maske übernommen. Die Leute treten mir dadurch ganz anders entgegen, können mich nicht mehr einschätzen.“
Das nette Mädchen, das möchte Nic Endo nicht sein. Sie will als Musikerin verstanden werden. Das musste auch Alec Empire erstmal lernen. In dessen international berühmter Lärmtruppe Atari Teenage Riot stieg sie als Ersatz für die damals schwangere Hanin Elias ein. Eigentlich sollte sie hauptsächlich für irritierende Noise-Parts sorgen. „Doch irgendwann wurde mir das zu langweilig und ich erweiterte den ATR-Sound nach meinen eigenen Vorstellungen.“ Was allseits gut ankam. Nic Endo gehört inzwischen fest zur Band und dem von Hanin Elias initiierten Kreis um das Fatal-Label, das Frauen eine Art Stützkorsett bei der eigenen Entfaltung innerhalb des Sektors elektronische Musik bietet. Das Anliegen von Fatal ist auch ihres: „Es wird Zeit, dass Frauen die Standards setzen.“ Für Nic Endo ist es glasklar, dass es nicht langt, so gut wie die Männer zu sein. „Ich werde den Weg gehen, auch wenn er schwer ist.“
Was für sie indiskutabel ist, ist Spaßfeminismus, piepsige Mädchenstimmen und Girlie-Getue. Sie sagt: „Ich finde es wichtig, konfrontativ zu sein, die Leute vor den Kopf zu stoßen, den Kampf aufzunehmen.“ Nicht nur ihr Auftreten als unterkühlter Vamp, auch ihre Musik soll ihre radikale Seite nach außen kehren. Ihre erste Solo-EP „White Heat“ ist eine brutale Noiseplatte, voll reiner Energie und absolut kompromisslos. Ihre Platte „Poison Lips“ unter dem Namen She Satellites bot eigenwillig trashige Cut-up-Musik mit vielen Samples und demonstrativem Punk-Gestus.
„Cold Metal Perfection“ ist dagegen kaum kategorisierbare, sperrige Musik. „Meine Musik wird mit Stockhausen und John Cage verglichen. Meine Einflüsse dafür kommen aus dem Free Jazz, frühem Electro und klassischer Musik. Außerdem aus Filmen, ich habe vor allem ein Faible für Vampirfilme.“
Der erste Track der neuen Platte „Man-Eater“ lehnt sich an den bizarren New-Wave-Vampirfilm „The Hunger“ von Tony Scott an, in dem Catherine Deneuve einen mehrere tausend Jahre alten ägyptischen Vampir spielt, die ihre Lebensenergie mit ihrem Liebhaber David Bowie als britischem Aristokraten teilt. Während das klaustrophobisch Atmospärische der ganzen Platte eine düstere Verstörtheit verströmt, die ganz gut zu Abel Ferraras „The Addiction“ passen könnte.
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