: Sirenen und Lungen
Ich ist eine Insel, und alle sind eingeladen: Die Folksängerin Heather Nova sorgte im ColumbiaFritz für ein Rauchverbot, Sauerstoffmangel und Ohnmachtsanfälle
Hitze ist doch was Schönes. Vor allem wenn der Popfan sich abends in einen Schachtelbau begibt, der den ganzen Tag in der Sonne gebrütet hat. Lüften kann man das ColumbiaFritz so gut wie nicht, also stehen die Leute tapfer im ausverkauften Saal, atmen flach und warten auf Heather Nova. Wenigstens wird kaum geraucht, denn Miss Nova hatte auf Zetteln am Eingang „aus Gründen der künstlerischen Darbietung“ darum gebeten, nicht nur nicht zu inhalieren, sondern ganz davon zu lassen. Ein Wunder trotzdem, dass sie nicht ohnmächtig umkippt nach zwei Songs. Dafür erwischt es zwei Frauen. Die eine wird kreidebleich in den Garten geschleppt und mit Wasser wiederbelebt. Sanitäter gibt’s natürlich nicht. Unbeschwert lebt der Rockfan, der nichts von den neun Toten in Roskilde 2000 mitbekommen hat.
Heather Nova stammt von den Bermuda Islands, hieß bei ihrer Geburt 1968 Heather Frith. Zunächst versuchte sie sich am Filmhandwerk, aber die kleinen Super-8-Experimente wurden ihr nach eigener Aussage immer mehr zu Soundfragmenten als zu Bildern. Sie verließ die USA, wohin die Eltern übergesiedelt waren, und ging nach London. Hier, im Independent-Paradies des Britpop, bekam sie 1990 einen Plattenvertrag bei der guten alten Tante Rough Trade. Ihr erstes Album nannte sie nach ihrem „echten“ Namen.
Der Durchbruch gelang ihr 1994 mit dem Album „Oyster“. Nun wurde ihr elfenhafter Gesang erstmals breiteren Kreisen bekannt. Schon damals war die Assoziation von Sirenengeträller nahe liegend, nicht umsonst behauptete sie in einem Song dreist, sie selbst sei eine Insel („I’m an island“). Auf dieser Insel wollten dann verstärkt Jungs siedeln und mit Heather gern Supernovä am Horizont erzeugen. Einige verstanden wohl auch die Zeile „I want you to come – walk this world with me“ hauptsächlich im ersten Teil. Dass Frau Nova nicht zu sehr auf den Independentdampfer setzen würde, um ihr Eiland und die klettigen Typen heimlich des Nachts zu verlassen, klang damals schon durch.
Auf der Bühne ist sie denn auch klarer Mittelpunkt des Geschehens. Die Mitmusiker sind Mitmusiker. Ihre Stimme gurgelt wie immer im oberen Bereich, als hätte ihr jemand die angeborene Bassbox aus dem Hals gestohlen. Heather lebt ihre Folkrockeinflüsse – ihre Eltern hörten gern Bob Dylan und Joan Baez – in elegischen Popballädchen aus, die manchmal eine Idee zu seicht um die Ohren herumsegeln. Dann haut sie aber auch schnell wieder drauf oder lässt ihren Gitarristen ein fast rocksackhaftes Solo anpfeifen. Ihre Einflüsse und ihre zarten Seiten erinnern ein wenig an ihre junge Kollegin Ani Difranco, die bei ihrem letzten Berliner Gig ebenfalls und dabei noch mehr Leuten das Rauchen untersagen wollte.
Zart, aber hart, fällt einem, durch den Sauerstoffmangel erweicht, dazu ein. Als Heather zwischendurch ihre Band zur Atempause rausschickt, vertauscht sie die Elektrogitarre gegen ein akustisches Instrument. Ob sie das Teil von ihren Hippie-Eltern geerbt hat? Jedenfalls ist auf dem hellen Holz die schwarze Karikatur eines Revolutionärs als Abziehbild vorhanden: Che G.
Heather Nova will ihre jetzige Tour ungefähr ein Jahr durchziehen, nächstens fährt sie in die USA und kommt dann zurück nach Europa. Hoffentlich hat sie demnächst ein paar Open-Air- Gigs zum Lungelüften.
ANDREAS BECKER
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