piwik no script img

Schönheit der fremden Form

Mit dem 13. internationalen Sommerfestival „Tanz im August“ präsentiert sich der Tanz als offene, vielgestaltige Kunstform, die sich endgültigen Deutungsversuchen immer wieder zu entziehen weißvon JANA SITTNICK

Der August gehört dem Tanz. Neben den sommerlichen „Disco“-Varianten, wie Goa-Raves im Umland oder hotten Funky-Boogie-Outdoor-Nights in Mitte, zieht vor allem der zeitgenössische Tanz das Interesse des Hauptstadtpublikums auf sich. Mit dem internationalen Sommerfestival „Tanz im August“, das in diesem Jahr zum dreizehnten Mal vom Hebbel-Theater und der Tanzwerkstatt im Podewil veranstaltet wurde, präsentierte sich die Kunstform Tanz als offenes, vielgestaltiges Gefüge, das sich – endgültigen – Deutungsversuchen immer wieder entzieht, ohne bedeutungslos zu sein. Das Tanzfest präsentierte sechzehn Kompanien und Performer, zahlreiche Uraufführungen und Auftragsproduktionen, Vorträge, Workshops sowie Film- und Buchpräsentationen.

Diese breite Auswahl zeigte eines sehr deutlich: das Fehlen eines gemeinsamen Nenners. Absichtlich verzichteten die Veranstalter, Ulricke Becker und André Thériault, auf eine Kategorie oder ein „Thema“, unter der die beteiligten Arbeiten subsummiert worden wären. Fragestellungen jedoch waren ablesbar, wie die nach den Machtverhältnissen im Theaterraum sowie der Beziehung zwischen Darstellern und Publikum oder der Selbstreferenz von Popkultur.

Der französische Choreograf Jérôme Bel, der sich wohl am weitesten von der klassischen, aber auch modernen Tanzform entfernte, überraschte zum Abschluss des Festivals mit einem Stück, in dem nicht mehr getanzt wird. „The Show must go on“, im letzten Herbst im Hamburger Schauspielhaus uraufgeführt, ist ein Gruppenstück, in dem die zwanzig Darsteller die Pophits der letzten dreißig Jahre hören, herumstehen und dabei forsch in das Publikum schauen. Ab und zu wird getanzt, wenn es passt, so zu David Bowies „Let’s dance“. Dann gehen die Leute weg, und man glotzt auf die leere Bühne, während aus der CD-Anlage das Beste von gestern läuft. Komisch ist das, und weckt Erinnerungen an Schuldisco und Ferienlager, wenn bei der Schnulze von Lionel Ritchie die Jungs weggehen und die Mädchen übrig bleiben, um mit sich selbst zu kuscheln. Oder wenn der CD-Einleger zu „Private Dancer“ ganz allein auf der Bühne rockt, zuerst schüchtern in der Ecke, dann, nachdem die Mädchen angeekelt die Bühne verlassen haben, trotzig im Spot, mit hochgezogenen Lautstärkereglern.

Jérôme Bel benutzt die Abfolge der Popsongs als Dramaturgie, und er zitiert eine Kultur, die, aller Jugendillusion zum Trotz, mittlerweile auch tradiert ist. Die unterschiedliche Reaktion der Darsteller auf die Songs erzählt nicht mehr „über etwas“, hier geht es um die Darstellung selbst und ihre Mechanismen. Überraschend ruhig sei das Publikum am Samstagabend in der Schaubühne gewesen, sagt Tino Sehgal, einer der Schauspieler. Bei der Aufführung im „Théatre de la Ville“ in Paris wären die Leute auf die Bühne gekommen. „Bei George Michael, ,I want your sex‘.“ In Berlin feixte man derweil und klatschte in die Hände.

Neben den jungen Choreografen, die radikale Positionen einnehmen wie Bel oder sein in Berlin lebender Landsmann Xavier le Roy, der das klassische Ballett „Giselle“ inhaltlich unkenntlich gemacht und zum Körpersprachlaborstück „Giszelle“ transformiert hat, zeigten Weltstars der Tanzszene neue Arbeiten. Vom „Nederlands Dans Theater III“, einer holländischen, von Jirì Kylián geleiteten Kompanie, die seit zehn Jahren profilierte Tänzer versammelt, die über vierzig sind, konnte man edlen Tanz sehen. Hier wurde die Form gefeiert, und zugleich wurde sie ironisiert.

Die Tänzer haben das Vokabular ihrer Bewegungssprache über Jahrzehnte geprobt, getanzt und absorbiert. Jetzt gleiten sie scheinbar schwerelos über den Bühnenraum. Das war sehr dekorativ und formal überzeugend. In der Weltpremiere „The Moment“ von Michael Schumacher reichte dem „Nederlands Dans Theater III“ jedoch die schöne Form nicht aus, hier wird jene Spannung verdeutlicht, die sich aus dem unendlich vorgestellten Leben und der Angst vor dem Tod ergibt.

Gioconda Barbuto, Sabine Kupferberg, David Krügel, Gérarde Lemâitre und Egon Madsen „durchleben“ auf der Bühne ihr Erschrecken vor dem Alter und die damit verbundenen Zweifel an der Vollwertigkeit in einer leistungsorientierten Kultur. Im Humor heben sie die Schwere dieser Zweifel aber wieder auf und entgehen so der Intellektualisierungsfalle.

Ein reines Sinnenfest feierte die spanisch-französische „Compagnie Montalvo-Hervieu“ aus Creteil. José Montalvo präsentierte sein Stück „Le jardin io io ito ito“, das er, in Anlehnung an das gleichnamige Bild des Surrealisten Max Ernst, als „Collage“ versteht, in der verschiedene Stile und Materialien ineinander gefügt werden. Und so sieht man Tänzer von der Elfenbeinküste stampfen, hüpfen und schreien, sieht chinesischen Tanz und europäische Ballerinen, Artisten und Breakdancer. Immer wieder prallen die Darsteller aufeinander, verführen sich im gegenseitigen Staunen über die Schönheit der jeweils anderen fremden Form, mixen und variieren, was das Zeug hält. Die Darbietung, die wie eine laute Zirkusrevue, auf zweihundert Prozent läuft und keinen Raum für Stille lässt, endete im frenetischen Jubel des Publikums. Die Zuschauer waren von ihren Sitzen gerissen und tanzten mit, die Grenze zwischen Bühne und Parkett löste sich auf im ekstatischen Moment. Das schaffen intellektuelle Dekonstruktionen nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen