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Jeder wird Denkmal

Neue Netz-Kandidaten-Show: „Cyberholic“ mit Carlos Pinto startet heute in der Astra-Stube ein neuartiges Vergnügen  ■ Von Annette Stiekele

Er ist einer von denen, die mit 15 schon nächtelang vor ihrem ersten Computer hockten, bereits 1995 das Skateboarden entdeckten und doch immer irgendwie zu früh dran waren. Denn keiner wollte sein Skateboard-Magazin lesen und auch den CD-Rom-Nachfolger nicht. Erst Jahre später kam die Skater-Welle und kurz darauf der Internet-Hype. Mittlerweile wurde er abgelöst vom Dotcom-Kater.

Aber was ein echter Cyberpunk ist, der lässt sich nicht unterkriegen. Carlos Pinto, 26 Jahre jung, kahlköpfiger Netz-Nerd und im Hauptberuf Werbegrafiker, machte weiter und kommt jetzt sogar mit einer eigenen Show. Cyberholic – Die Show heißt sie und steigt jeden Freitag in der Astra-Stube. Der Eintritt ist frei.

Als Gäste werden Medienmacher, Grafiker, Kontakter, Manager und User erwartet, deren Begeisterung für die Netzwelt ungebrochen auf hohem Level schwingt. Wenn auch eher auf einem künstlerischen als kommerziellen. Eine Schlips-Parade wie das Treffen der Online-Kapitäne soll es aber ausdrücklich nicht werden: „Wir laden eher die Praktikanten ein, die im Hintergrund richtig gute Arbeit machen, als Peter Kabel“, so Moderator und Initiator Carlos Pinto.

Im Mai tourte er mit seiner Idee durch die Hansestadt und landete per Online-Blind-Date bei Winfrid Tiede, im Hauptamt Marketing- und Vertriebsleiter beim Schmidt Theater und Schmidts Tivoli, nebenbei seit vielen Jahren begeisterter Netzbastler. Tiede übernahm die Produktionsleitung.

Schnell war die Location ausgemacht, denn auch Astra-Stuben-Betreiber Jurij Klauss ist nicht nur Gastronom, sondern schweißt als Geschäftsführer des Medienbüros M131 Homepages zusammen. „Es geht in der Show wie beim Internet darum, welche Menschen dahinter stehen, um die Community, die immer größer wird“, sagt Pinto, der sich durchaus als Freak sieht.

Erste Moderationserfahrungen sammelte er beim Offenen Kanal Hamburg und bei CyberradioTV – natürlich ein Online-Kanal. Die Show soll in der Tradition der Late-Night-Talk-Show stehen und dabei eine Mischung aus Netz-Trash und Infotainment bieten. In einer munteren Zeitreise durch die zurückliegende Woche werden erst mal alle Neuigkeiten und Gerüchte präsentiert. Zwei Talkgäste werden jeweils eingeladen, die zum medienschaffenden Fußvolk zählen und aus ihrem farbigen Leben plaudern, in der ersten Show sind das Thorsten Birk von www.loopnet.de und Yared Terfa die Baba von www.yared.de.

Weitere Höhepunkte sind die „Domaine des Tages“, in der eine blumige Namenskreation vorgestellt wird und die „Familie des Tages“. Jeder kennt ja die ungezählten privaten Homepages mit mehr oder weniger schwachsinnigen Inhalten. „Die Leute stellen ja regelrecht ihr Kaminsims ins Netz. Motto: Ich und meine Familie“, so der Moderator. Jeden Freitag soll künftig eine von ihnen öffentlich geehrt werden.

Amusement auf Kosten anderer? „Ich habe nichts gegen diese Seiten“, wehrt Pinto ab. „Auch ,Jürgen', ein schon etwas angegrauter Herr, der mit Lockpower.de seine ganz persönliche Liebe zur Eisenbahn offenbart, hat für mich absolut seine Berechtigung. Jeder kann hier zum Denkmal werden.“

Außerdem faszinieren ihn junge Mädchen, kaum 15 Jahre alt, die höchst professionelle und wunderschön gestaltete Homepages betreiben und darin ihr gesamtes Leben mit Fotos offen legen. „Die Jugendlichen von heute lesen entweder die Bravo und lassen sich berieseln, oder sie wollen etwas machen und verwirklichen ihre Ideen im Netz“, sagt Pinto.

In der Rubrik Zehn Minuten Deutschland wird er – wiederum meist reichlich abstrusen – Aufzeichnungen von Sprachcommunitys ein Forum geben. Entertainment ist dabei sehr wichtig. Und ein bisschen Voyeurismus, gemäß seinem Credo: „Information needs to be free. Das Internet ist öffentliche Kunst.“ Damit der Abend nicht zu anstrengend wird, gibt es musikalische Auflockerung, nicht etwa, wie man erwarten könnte, durch MP3-Files, sondern mit handgemachten Klängen von Alex MacRotten an der Hammond-Orgel. Ein bisschen Kontrast ist ja auch nett.

Die festen Programmpunkte sind auch auf Pintos Homepage unterwww.cyberholic.de zu finden. Das Netz bestimmt schon lange Pintos Leben, auf seiner Homepage führt er Tagebuch, gibt Tipps für Internetlinks und deckt mehrere Stunden täglich verrückte und abgedrehte Entwicklungen auf. Nicht alle Elemente seiner Homepage sind ganz jugendfrei, allerdings immer augenzwinkernd. Carlos Pinto ist der lebende Beweis dafür, dass das Netz eben doch noch nicht so etabliert ist, dass nicht jeder Freak und Anarcho dort noch eine Nische fände.

Freitag, 7. September, 21-22 Uhr, Astra-Stube

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