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Eine Partie im Diesseits

Angetrieben von den Zuschauern spielen der FC Schalke 04 und Borussia Dortmund ein ganz normales Revierderby, in dem Andreas Möller schließlich zum Sieg bringenden Faktor wird

aus Schalke HOLGER PAULER

Der Impuls kam von den Rängen. Nachdem die Gedenkminute, zu der sich beide Mannschaften im Mittelkreis versammelt hatten, beendet war, rauschte ein Aufschrei der Erleichterung durch die Arena und die andächtige Stille verwandelte sich von einer Sekunde auf die andere in tosenden Lärm. Die 60.000 Zuschauer – und in ihrem Sog die 22 Spieler – schienen auf einmal wie von der Außenwelt abgeschottet. Die Bilder von der Zerstörung, die seit Dienstag das Leben bestimmt hatten, traten, quasi mit Schiedsrichterpfiff, in den Hintergrund. Auf den Rängen gab es die üblichen Schmähgesänge und auf dem Rasen teilweise überhart geführte Zweikämpfe; Schieds- wie Linienrichter mussten beschwichtigend auf die Trainer einwirken. Es herrschte jene hektische Derbystimmung, die unter den gegebenen Umständen niemand für möglich gehalten hätte, die Zeitungen jedenfalls hatten im Vorfeld vom „leisesten Derby aller Zeiten“ getitelt – und ihre Rechnung ohne die Zuschauer gemacht.

Vor allem die Fans schienen zumindest für 90 Minuten zu vergessen, was in New York und Washington geschehen war. Fast demonstrativ wandten sie sich dem Diesseits zu und ließen dabei den Profis keine Wahl. Von der Atmosphäre beeindruckt, vielleicht sogar beeinflusst, gingen die Spieler beider Mannschaften zu Werke. „Vor dem Spiel herrschte eine sehr gedrückte Stimmung“, erinnerte sich Oliver Reck, „doch nach dem Anpfiff mussten wir alle Gas geben.“ Welch ein Kontrast war das zu dem deprimierenden Champions-League-Spieltag vom vergangenen Dienstag, als die Bilder des Terroranschlages noch allgegenwärtig waren.

Gute 15 Minuten dauerte es dann, bis das Spiel ins Laufen kam: In der 16. Minute schoss Jörg Böhme erstmals gefährlich auf das Dortmunder Tor. Nur eine Minute später folgte der große Auftritt von Andi Möller. Eher ungewollt eingesetzt von Emile Mpenza, ließ der Schalker Spielmacher mit seinem schnellen Antritt Jürgen Kohler so alt aussehen, wie dieser ist (35), und versenkte den Ball ins Eck. Ausgerechnet Möller, der Exborusse, der noch am Morgen vor dem Revierderby in einem halbseitigen Interview erklärt hatte, dass er unter den derzeitigen Umständen eigentlich überhaupt nicht spielen wolle. So aber wurde Andi Möller zum Mann der Partie mit einer überragenden Zweikampfbilanz, wunderbaren Pässen – und dem entscheidenden Tor. Nach dem Spiel wollte er sich dazu nicht äußern. Möller verließ das Stadion kommentarlos.

In dieser Partie musste Schiedsrichter Fandel alleine in der ersten Halbzeit fünf gelbe Karten zeigen. Es gab viele Fouls, Verletzungsunterbrechungen und undurchsichtige Zweikämpfe am Rand der Legalität. Und vielleicht verloren die Unparteiischen auch deshalb etwas die Übersicht und lagen bei der Beurteilung der Zweikampfführung, vor allem aber beim Bewerten von Abseitsentscheidungen mehrfach gründlich daneben. So wurde der Ausgleichstreffer von Christian Wörns nicht anerkannt, weil Jürgen Kohler im passiven Abseits angeblich etwas zu aktiv ins Spielgeschehen eingegriffen hatte, was nun wirklich Ansichtssache war.

Die Schalker wiederum versäumten es, in der zweiten Halbzeit das Spiel vorzeitig zu entscheiden. Sven Vermant traf nach Möller-Pass nur den Pfosten, Victor Agali setzte den Ball nach Alleingang über das Tor. Die Dortmunder kamen ihrerseits nur noch durch Weitschüsse zu Torchancen. Am Ende stand ein verdienter Schalker Erfolg gegen zu statisch und ideenlos wirkende Borussen. „Wir können die Big Points halt noch nicht machen“, beklagte BVB-Trainer Mathias Sammer eine Woche nach dem 0:2 gegen Bayern München die zweite Niederlage gegen einen Mitkonkurrenten im Kampf um den Titel. Während draußen die Schalker Fans beinahe euphorisch feierten, betonte Rudi Assauer auf der Pressekonferenz, dass es immer noch besser gewesen wäre, nicht zu spielen, „davon rücke ich nicht ab, nur weil wir gewonnen haben.“ Aber der Schalker Manager glaubte auch, „dass ein Großteil der Zuschauer die Ereignisse verdaut hat. Bei den Spielern wird es ebenfalls von Tag zu Tag besser.“

Ob sie es nun verdaut oder „einfach nur verdrängt“ haben, wie Jens Lehmann meinte, ist schwer zu beurteilen. Jedenfalls sorgten die Zuschauer dafür, dass zumindest etwas „Normalität“ ins Alltagsleben zurückgekehrt war. Schalkes Trainer Huub Stevens wusste jedenfalls ganz genau, bei wem er sich dafür zu bedanken hatte: „Dieser Sieg sollte unseren Fans gehören.“

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