: Wo Jazzpiano klassisch wird
■ Walter Norris spielte am Samstagabend im KITO
Wenn es einen Jazzer gibt, der eher wie ein klassischer Musiker wirkt und oft auch klingt, dann ist dies Walter Norris. In zugleich schickem und bequemem Schwarz gekleidet, spielte er auf der Bühne des KITO so kompakt, virtuos und vielschichtig, dass man beim besten Willen die kompositorischen Anteile nicht von den improvisatorischen unterscheiden konnte. Die meisten Stücke (auch die selbst komponierten) spielte er vom Blatt ab (was bei Jazzern eher unüblich ist), und diese Blätter waren jeweils dicht beschrieben und fanden kaum Platz auf der Notenleiste des Pianos. Dies waren wohlgemerkt keine langen Suiten, sondern Songs, die nie länger als zehn Minuten dauerten, aber die Musik von Norris war extrem verdichtet: Bei ihm hatte man das Gefühl, er würde in einer dieser Miniaturen das ausdrücken, wofür andere einen ganzen Abend brauchen.
Der Jazz von Norris ist intellektuell, man kann auch sagen weiß. In der Musik des heute 70-Jährigen sind die Erfahrungen seiner Karriere aufgehoben: das Studium des klassischen Pianos in seiner Jugend, sein Zusammenspiel mit solch unterschiedlichen Interpreten wie Ornette Coleman, Pepper Adams, Dexter Gordon und Charles Mingus und wohl auch seine „akademische“ Spätphase als Dozent an der Hochschule Berlin. Nicht umsonst stellte Norris dem Publikum zwei seiner Stücke als „abstract blues“ vor, tatsächlich waren sie mit äußerster Kunstfertigkeit gebastelt und eher mathematisch als atmosphärisch als Bluessongs zu bezeichnen.
Aber Norris spielte auch noch in den kompliziertesten harmonischen Verzweigungen mit viel Emotion. So war die Musik zwar smart, aber nie kopflastig, zwar virtous, aber nie angeberisch. Man konnte sich in den Wohlklang von jedem Stück fallen lassen. Klassisch war an diesem Programm auch die Auswahl: Mit Stücken von Irving Berlin, Jerome Kern, John Lewis und Standards wie „Willow Weep for Me“ spielte Norris aus dem großen amerikanischen Songbook der goldenen Jazz-ära, aber anders als bei den neoklassizistischen Jungstars des US-Jazz klingen diese musikalischen Reminiszensen bei Norris nicht konservativ und museal. Man hatte bei ihm das Gefühl, er wolle das Publikum und auch sich selber auf keinen Fall langweilen. Darum wurden die Stücke so zügig durchgespielt, darum war seine Musik so glasklar strukturiert, darum blitzten auch die schönsten musikalischen Ideen bei ihm nur kurz auf, und dann war er schon weiter.
Einen Scherz leistete er sich bei der Zugabe, als er eine Zuhörerin, die überhaupt nicht Klavier spielen konnte, für ein Duo auf die Bühne bat: Sie sollte mit einem Finger nur auf den schwarzen Noten spielen, und er würde sie harmonisch so unterstützen, dass keine Note falsch klingen würde. Dies gelang verblüffend gut, war aber eher ein Zaubertrick als eine musikalische Offenbahrung. Aber diese hatte Norris dem Publikum ja schon vorher reichlich beschehrt.
Wilfried Hippen
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