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Gebt mir die Bombe

■ Albert Camus „Gerechte“ im Schauspielhaus schwanken zwischen Holzschnitt und Kammerspiel - in jedem Fall erzwingen sie eine Diskussion über Terror und Moral

Gebt mir die Bombe, nächstes Mal will ich sie werfen.“ Ein schwer verdauliches Schluss-Statement für eine Theaterpremiere am 28. September 2001. Katja Zinsmeister verkündet es als entschlossene Attentäterin Dora Duljebow im zaristischen Russland, doch das Publikum im Theater am Goetheplatz hat Flugzeuge und Wolkenkratzer im Kopf. Über die Bühne ging Albert Camus' Kammerspiel „Die Gerechten“ von 1949.

Auf Doras Geliebten Iwan Kaliajew wartet der Galgen, weil er Großfürst Sergej in die Luft gesprengt hat. Lange hatten sie das Attentat vorbereitet, für Liebe war während des konspirativen Lebens kein Raum. Doch Dora folgt mit ihrer Todesdeklaration nicht nur dem Romeo-und-Julia-Motiv (erst im Tod können wir uns vereinen), sondern unterstreicht noch einmal die Grundannahme des Camus-Werkes: Terror kann gerecht sein.

Dass sich Weltlage und Theaterliteratur in dieser Form auf den Bremer Bühnenbrettern begegnen, ist reiner Zufall. Camus' „Gerechte“ wurden schon Anfang des Jahres auf den Spielplan gesetzt, damals inspiriert durch die medial angefachte Gewalt-Debatte um Joschka Fischer und die Generation 68. Ein ähnlicher Ansatz also wie der, mit dem die „Gerechten“ schon 1977, im „deutschen Herbst“, zur aktuellen Diskussion beitrugen. Claus Peymann zum Beispiel hatte seine Stuttgarter „Gerechten“ mit einer Kamerafahrt vom Schlossplatz-Theater bis vor die Stammheimer Gefängnistore enden lassen.

Auch Marlon Metzen wollte die Geschichte von Baader, Meinhof und Ensslin in die Bremer Fassung einbeziehen. Der Zusammensturz der Twin Towers warf die geplante Inszenierung über den Haufen. Nach einer Auszeit von drei Tagen entschloss sich das Theater, das Stück zwar pünktlich auf die Bühne zu bringen, aber ohne bundesrepublikanische Zeitbezüge - sondern „puristisch“. Camus pur als diskussionsstiftende Reaktion auf den gerade erlebten Terror.

In der Tat erwartete das Publikum eine sehr reduzierte Fassung: im ersten Akt ein textzentrierter Schlagabtausch innerhalb der Terroristengruppe.

Erbittert diskutiert sie die Frage, ob ihr Attentat trotz überraschend anwesender Kinder ausgeführt werden soll. In kurzen Spots, getrennt durch Weißblenden, prügeln sie sich ihre Glaubensbekenntnisse um die Ohren, gipfelnd in einem langen Mikrofon-Duell: „Wenn wir Kinder töten, verlieren wie unsere Ehre“, donnert Kaliajew (Fritz Fenne), worauf Stepan (Christoph Finger) zurückbellt: „Ein wahrer Revolutionär kann sich nicht lieben“ – also auch keine Ehre „leisten“. Regisseur Marlon Metzen zeigt sie als Figuren unter wahnsinnigem inneren Druck - und in steter Gefahr, entdeckt zu werden.

Das Bühnenbild (Janina Mendroch) lokalisiert die Attentäter bereits in einer Art Isolationshaft: Zwischen grauweißen Wänden liegt, schräg, die überdimensionierte Matratze, der Außenkontakt verengt sich auf einen Sehschlitz im vernagelten Fenster. Durch ihn hindurch fixieren sie das Opfer, versuchen den Großfürsten nicht als Mensch, sondern ausschließlich als Repräsentant des verhassten Systems wahrzunehmen.

Metzens Inszenierung fokussiert die direkte, persönliche Konfrontation von Attentätern und Opfer. Denn, akzeptiert man die Legitimität eines Tyrannenmordes und überspringt die Diskussion um „zivile“ Opfer, taucht unweigerlich die Frage auf, ob sich die theoretisch begründete „Gerechtigkeit“ auch noch Aug' in Aug' mit dem Attentatsopfer empfinden lässt. Wer - wenn er nicht wie Stepan durch persönliche Foltererfahrung verhärtet ist - bringt es fertig, sehenden Auges ein Blutbad anzurichten?

Konsequent verfolgt Metzen dies Thema auch im vierten Akt. Der gefangene Kaliajew trifft auf Foka (Sebastian Dominik), den er mit der Legende vom heiligen Dimitri (der wegen seiner aktiven Menschenfreund-lichkeit göttliche Gebote übertritt - eine schauspielerisch seltsam isoliert wirkende Slapstick-Einlage) erheitert.

Doch Foka besteht auf Distanz. Denn er, ein von der Gefängnisleitung funktionali-sierter Mitgefangener, ist es, der Kaliajew die Schlinge umhängen soll. Kaliajew selbst kann sich sein Opfer nicht vom Hals halten: In Gestalt der verwitweten Großfürstin (Cornelia Schmaus) wird ihm die menschliche Dimension seiner Tat vorgeführt.

In diesen Szenen lässt Metzen die Figuren nah ans Publikum rücken. Während im Debatten-Stakkato des ersten Aktes nur Holzschnittartiges entstehen kann, dürfen die „Gerechten“ hier, zumindest ansatzweise, Kammerspiel sein und den Täter als empathischen und seinerseits opferbereiten Menschen zeigen. Als jemanden, der bis zur Selbstaufgabe um Moral ringt und nur mit dem eigenen Tod die Legitimität seines Tötens gesichert sieht. Hier wird Metzen seinem zuvor formulierten Anspruch, die Terroristen nicht als abstrakte Ausgeburten „des Bösen“, sondern als Menschen mit Biographien, Werten und Motiven zu zeigen, gerecht.

Ihrem Anspruch, Diskussionen zu stiften, wird die Inszenierung sogar uneingeschränkt gerecht. Der Premierenabend entwickelte sich nach langem Schlussapplaus zu einem intensiven Frage-Forum. Denn mehr als schauspielerische Leistungen interessierten politisch-moralische Bezüge.

Epilog: Das historische Attentat vor hundert Jahren, von Camus auf der Grundlage von authentischen Zeugnissen verarbeitet, war politisch erfolgreich: Zar Nikolaj II. sah sich gezwungen, eine Vorform von parlamentarischer Volksvertretung zuzulassen. Die politischen Folgen des 11. September sind unabsehbar, aber gerade vor diesem Hintergrund hätte auch die Beibehaltung des ursprünglichen Inszenierungs-Konzepts Sinn gemacht. Schließlich könnte die Reflektion der 68er-Militanz von Joschka Fischer auch aufschlussreich sein in Bezug auf die heutige Gewaltbereitschaft des Außenministers (vgl. Fischers taz-Interview vom Wochenende). Denn immer noch steht die Frage im Raum: Wer schmeißt die nächste Bombe?

Henning Bleyl

Es spielen: Katja Zinsmeister, Cornelia Schmaus, Fritz Fenne, Christoph Finger, Matthias Kleinert, Thomas Ziesch, Andreas Herrmann und Sebastian Dominik. Dramaturgie: Joachim Klement, Regieassistenz: Jana Sterneckert.

Die nächsten Aufführungen: 2./5./7./10./19./21. Oktober, jeweils 20 Uhr. Am 14. Oktober um 15.30 Uhr inklusive Babysitter-Service ab 15 Uhr.

Karten: Tel.: (0421) 36 53 333

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