: „Die Arroganz der Mächtigen“
betr.: „Der Joschka will nicht in die SPD“ (Cohn-Bendit-Interview), taz vom 26. 9. 01
1. Die politische Existenz Joschka Fischers steht auf dem Spiel, wenn die Bündnisgrünen seinen Kurs nicht mehr mittragen (Daniel Cohn-Bendit). 2. Die Existenz der Bündnisgrünen steht auf dem Spiel, wenn sie seinen Kurs mittragen. 3. Das Zweite ist wichtiger. HORST SCHIERMEYER, Zittau
Nach seiner treffenden und klaren Charakterisierung der Geschehnisse in Genua legt nun Daniel Cohn-Bendit mit seinem Diskussionsbeitrag zu möglichen Militäreinsätzen gegen Terroristen die gleiche, bei der Globalisierungsdiskussion von ihm noch kritisierte „Arroganz der Mächtigen“ an den Tag. Die Grünen sollten eine politische Debatte führen. Richtig. In diese Debatte gehört die humanitäre Katastrophe in Afghanistan, die Gefahr der Destabilisierung von Ländern wie Pakistan und mittelbar auch Algerien. Beides ist bereits jetzt als direkte Folge der Militäreinsätze erkennbar und wird sich mit Dauer und Heftigkeit der Militärschläge verschärfen. Kontrovers müssen auch die innenpolitischen Ungetüme diskutiert werden, die nun aus der politischen Mottenkiste gezaubert werden. Nicht weil es sich um „Details“ handelt, sondern vor allem aus rein rationalen Gründen. Das aktuelle Versagen der Geheimdienste zeigt uns deutlich, wie unsinnig es ist, Daten im großen Stil zu sammeln. Wirklich wirksam kann gegen den Terrorismus nur sehr gezielt vorgegangen werden. Etwa indem man den Aktivitäten die finanzielle Basis entzieht. Das Bedrohungspotenzial verringert sich auch, wenn der internationale Waffenhandel sowie die Produktion von Chemie- und Biowaffen ausgesetzt werden würde. Selbstverständlich erheben die Anmerkungen keinen Wert auf Vollständigkeit, sie sollen lediglich die Komplexität des Problems beleuchten. Stattdessen kommen von Daniel Cohn-Bendit nur Platitüden, wie die freche Aussage, die Grünen würden am liebsten „ein Heer von Sozialarbeitern mit dem Fallschirm über Afghanistan absetzen“. So undifferenziert reden nur die über die Grünen, denen die von den Grünen vertretenen Inhalte lästig sind. Man muss ihm gar völlige Ahnungslosigkeit des aktuellen grünen Selbstverständnisses attestieren, wenn er „Gutmenschennaivität“ unterstellt, die höchstens noch die letzten Verbliebenen seiner eigenen Generation charakterisiert. Und auch das von Daniel Cohn-Bendit aufgebaute Drohpotenzial („Westerwelle statt Fischer“, „Beckstein statt Schily“) schreckt niemanden wirklich, wenn sich die vertretenen politischen Inhalte nicht unterscheiden. [...] DIETMAR WEIHRICH, Mitglied bei B 90/ Die Grünen, Halle
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