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Afghanistans Nord-Allianz beginnt eine Offensive

Die bunt zusammengewürfelte Truppe will ihre Taktik mit den USA koordinieren. Pakistans Militärmachthaber Muscharraf warnt

BERLIN taz ■ Mit den Luftangriffen gegen Stellungen der Taliban geht auch die oppositionelle Nord-Allianz in die militärische Offensive. Der Kommandeur der bis zu 15.000 Kämpfer zählenden afghanischen Taliban-Gegner, Abdul Kassim Fahim, habe den Befehl zum Angriff gegeben, sagte ein Sprecher. Fahim hatte erst kürzlich die Führung der bunt zusammengewürfelten Truppe aus Tadschiken, Usbeken, schiitischen Hazaras und anderen Minderheiten übernommen. Der bisherige charismatische Militärchef Achmad Schah Massud war am 9. September einem Selbstmordattentat zum Opfer gefallen. Seine Anhänger machen Ussama Bin Laden für den Mord verantwortlich.

Die Nord-Allianz hat nach eigenen Angaben gestern bereits die Kontrolle über den Flughafen der Provinzhauptstadt Tschagtscharan gewonnen. Auch im Ort Tobdara nördlich von Kabul wurden Raketen auf Stellungen der Taliban abgefeuert. Die Nord-Allianz, die fünf bis zehn Prozent Afghanistans kontrolliert, bereitet jetzt nach eigenen Angaben die Einnahme der wichtigen nordwestafghanischen Großstadt Masar-i-Sharif vor.

Man sei von den USA vorab über die Luftangriffe informiert worden und stehe in ständigem Kontakt mit US-Vertretern, sagte der Außenminister der Nord-Allianz, Abdullah Abdullah, dem US-Fernsehsender CNN. „Wir werden unsere militärischen Strategien und Taktiken mit den USA koordinieren.“

Die Nord-Allianz setzt sich aus Gruppen der Mudschaheddin zusammen, die in den 80er-Jahren gegen die Sowjets gekämpft und 1992 die Macht in Kabul übernommen hatten. Sie zerstritten sich jedoch und bekämpften sich gegenseitig bis aufs Messer. Dabei wurde die bis dahin weitgehend unversehrt gebliebene Haupstadt Kabul zerstört. Die Brutalität des Machtkampfes diskreditierte die Mudschaheddin und ebnete damit den überwiegend zur Volksgruppe der Paschtunen gehörenden Taliban den Weg an die Macht.

Nach der Einnahme Kabuls 1996 durch die Taliban schlossen sich die unterlegenen Mudschaheddin-Gruppen 1997 zur „Vereinigten Islamischen Front zur Rettung Afghanistans“ zusammen. Sie eint allein ihr Hass auf die Taliban, wurde später Nord-Allianz genannt und wird hauptsächlich von Russland und Iran unterstützt. Bis zu den Anschlägen in den USA vom 11. September kämpfte die Nord-Allianz weitgehend auf verlorenem Posten und abseits des Weltinteresses. Doch seitdem die USA Ussama Bin Laden und die Taliban als Hauptverantwortliche des Terrors ausgemacht haben, wittert die Nord-Allianz Morgenluft.

Die Kämpfer der Nord-Allianz sind wie die Taliban radikale Islamisten. Auch die Nord-Allianz wird für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht. So wurden 1997 etwa 3.000 gefangene Taliban-Milizionäre getötet, nachdem die Mudschaheddin die Stadt Mazar-i-Sharif zurückerobert hatten. Auch jetzt wird befürchtet, dass sich Vertreter der Nord-Allianz an Paschtunen in Gebieten rächen könnten, aus denen die Taliban gerade vertrieben wurden. Während die Taliban Kämpfer zwangsrekrutieren, wird der Nord-Allianz vorgeworfen, die Bevölkerung zur Versorgung ihrer Kämpfer mit Lebensmitteln zu zwingen. Und nachdem die Taliban im vergangenen Jahr in ihren Gebieten ein weitgehend durchgesetztes Verbot des Mohnanbaus verhängten, stammt nach neuesten UNO-Erkenntnissen jetzt das meiste afghanische Opium aus Gebieten der Nord-Allianz.

Gemäßigte Oppositionelle warnen die USA, die Nord-Allianz nicht als Alternative zu den Taliban zu betrachten und sie womöglich an die Macht in Kabul zu bomben. Andererseits ist es für die USA verlockend, die Nord-Allianz quasi als Bodentruppe einzusetzen, um die eigenen Verluste gering zu halten.

Mit dem Hinweis, die Nord-Allianz solle die Luftangriffe nicht für sich ausnutzen, warnte auch gestern wieder der pakistanische Militärmachthaber Pervez Muscharraf vor den Taliban-Gegnern. Muscharraf fürchtet nicht zu Unrecht bei einem Vordringen der Allianz, dass Pakistan an Einfluss im Nachbarland verlieren könnte.

SVEN HANSEN

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