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■ Urdrüs wahre KolumneLebkuchen-Strolch

Am ganzen Körper zitternd und bebend habe ich in dieser Woche auf ein Dementi von Rolf „Bulli“ Herderhorst gewartet, den Satz betreffend, mit dem er aus der Diskussion in der Bürgerschaft zu „Intensivtäterkarrieren“ zitiert wird. „Der präventive Bereich muss beackert werden, um solche Straftäter gar nicht erst heranwachsen zu lassen“. Wie denn, wo denn, was denn: Präventiver Todesschuss für jugendliche Schwarzfahrer, Lippenstiftdiebe und Sprayer? Dazu, bitte schön, Herderhorst, erwarten wir jetzt aber mal einen Besinnungsaufsatz, der nicht nur aus „Rübe ab!“ besteht...

Zustände wie im Chicago der goldenen Mobster-Zeiten herrschen offenbar im Bremer Veranstaltungsgewerbe. Patenonkel Schulenberg definiert seinen Einzugsbereich für den Ticketverkauf, und wer nicht mitspielen will, muss mit den Jungs fürs Grobe rechnen – so wie einst beim Handel mit Moonshine-Whisky, Spielautomaten und Pferdewetten. Bleibt nur unklar, welche Funktion die Hanseatische Veranstaltungsgesellschaft in diesem Syndikat übernimmt. Und entschlossen drücken wir den Daumen all jenen Konzertdirektionen, die sich den Schneid nicht abkaufen lassen und ihr eigenes Rädchen auf Quivive drehen. Aber achtet auf den Typ mit dem schwarzen Hut, der immer vom Saloondach aus he-rumballert: Der ist eiskalt, der macht keinen Spaß nicht und hat den Sarghändler zum besten Freund!

Gestern traf ich einen älteren Herrn mit Lebkuchenherz um den Hals, obwohl weit und breit kein Kirmesplatz in Sicht war. „Hab' ich von meiner Enkelin, die will ich gerade vom Kindergarten abholen und da soll sie sehen wie der Opa sich darüber freut“, erläutert er kurz, nachdem er meinen verblüfften Blick auf das Herz mit der Aufschrift „Kleiner Strolch“ bemerkt hat. Ein Kind mit so einem Opa – das darf mit Recht beneidet werden!

„Das wäre noch schöner, wenn wir vor den Terroristen in die Knie gingen“ – mit diesen markigen Worten weist Sprecher Rainer Lingenthal vom Bundesinnenministerium das Greenpeace-Verlangen zurück, die Castor-Transporte wegen der aktuellen Situation auszusetzen. Wer so redet und das am Ende auch noch so meint, sollte als sprachlicher Provokateur umgehend zu anderweitiger Verwendung freigesetzt werden: einfach zu gefährlich, dieser dummstolze Höfling und doch so passend wie Arsch auf Eimer für den kriegerischen Ausnahmezustand, der jetzt in der Allparteienkoalition vorbereitet wird.

Im Bahnhofsbuchhandel erwerbe ich ein Exemplar der jüdisch-deutschen Wochenzeitung „Aufbau“ aus New York und werde daraufhin von einer Kundin im dunkelgrünen Lodencape gemustert, als ob sie die KZ-Domina Ilse Koch noch persönlich bei der Selektion auf der Rampe begleitet hätte. „Selbst daran verdienen die noch“, presst sie aus schmalen Lippen hervor, und leise zische ich ihr im Vorübergehen ein sehr, sehr unanständiges Wort zu. Aber sie grinst nur voller Hochmut, steht wie eine Wotans-eiche, ist verbal einfach nicht zu Fall zu bringen. Und nicht einmal ein Kaugummi ist zur Hand, es ihr an den Jägerhut zu kleben: eine Niederlage im antifaschistischen Alltagskampf, die richtig weh tut...

Da ich morgen als unermüdlicher Agitator und Propagandist der Spaßguerilla in Potsdam zu tun habe und höchstens auf einen Sprung bei der Berliner Großdemo vorbeischauen kann, empfehle ich diese zumindest der gefälligen Aufmerksamkeit aller Wohlmeinenden und wünsche dem heutigen Vortragsabend der Bremer Rosa-Luxemburg-Initiative mit Thomas Ebermann im Konsul-Hackfeld-Haus einen stimulierenden Verlauf. Krieg dem Krieg, wat mutt, dat mutt!

Ulrich „Redsox“ Reineking

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