: „Trottel im Paradies“
Auf der Kriegsbuchmesse entdeckt (5): Heiner Müllers „Ich. Krieg. Plaque“
Heiner Müllers permanente Subfinanzierung in den 50er-Jahren ist bekannt. Er vagabundierte von einem Bekannten zum anderen, ernährte sich von toten Brühwürfeln und stand mit einer beachtlichen Zahl von Gerichtsvollziehern auf dem Duzfuß. Geld sahen die nie, aber als Müller einem Beamten einmal nach erfolgloser Visite von hinten in den Kragen kotzte, bestand dieser auf einem Hemdenwechsel. In der Brusttasche des Müllerhemdes fand sich das Manuskript einer gewohnt martialischen Müllergroteske, das nun nach dem Tod des Gerichtsvollziehers, der es als Pfand stets bei sich trug, an die Öffentlichkeit gelangt ist.
„Ort der Handlung: ganz unten. Personen: Hitler, Posten, Benjamin v. Stuckrad-Barre, Mutter Teresa, Chor der Brechtwitwen.
POSTEN: Es wird geschossen oben. Endlich wieder Krieg. Endlich kommt Leben in das Scheißhaus hier.
HITLER: Nur wer sich selbst verbrannt hat, ist ein Mann. Ganz kleine Regel eigentlich. Holt Skatkarten hervor. Ich darf geben?
MUTTER TERESA: Mach nicht den Affen, Blödmann.
POSTEN: Mal sehen, wer gleich kommt. Sie nehmen auch nicht jedes Arschloch für die Hölle.
BENJAMIN VON STUCKRAD-BARRE macht sich Notizen.
HITLER: Selbst ich wär beinah durchgefallen. 18.
POSTEN: Hab ich. Neulich kam Stalin an und musste umkehrn und zu den Trotteln heim ins Paradies.
CHOR DER BRECHTWITWEN: Anmut sparet nicht noch Mühe / Dazu ist es nie zu frühe.
HITLER: Klappe halten. 20. Mir wollten sie einreden, dass ich schwul sei. Wie alle andern, aber is nich. Steht auf und lässt die Hosen runter. Oder sieht das hier etwa schwul aus? Die Tür geht auf.“
An dieser Stelle endet der Text des Manuskripts, das die literarische Welt in helle Aufregung versetzt. „Ein klassischer Müller“, findet Suhrkamp-Verleger Unseld und kündigt an, den Text in die zurzeit entstehende Müller-Gesamtausgabe einzuarbeiten. Ob das ohne Weiteres zu machen sein wird, ist allerdings fraglich. Die Brecht-Erben haben angekündigt, die Veröffentlichung unterbinden zu wollen, und Müller des Plagiats bezichtigt. „Es ist eindeutig“, ließ Babara Brecht-Schall mitteilen, „dass Papas Werk hier ausgeplündert wurde. Das werde ich nicht hinnehmen.“
„Interessant“ findet der Hitler-Biograf Joachim C. Fest, dass Müller Hitlers latente Homosexualität so „unumwunden“ anspreche. „Wenn der Text in den 50er-Jahren entstanden ist – und darauf scheint vieles hinzudeuten –, dann bedeutet das ohne Zweifel, dass Heiner Müller vor mir diese These vertreten und mithin mir im Voraus Recht gegeben hat.“
Rätselhaft ist vielen Kommentatoren die Figur „Benjamin von Stuckrad-Barre“. Keiner kennt einen Menschen dieses Namens. Warum er eine Rolle in dem Drama spielt und warum er dort auftaucht – niemand weiß es. Einzig der Intendant des Berliner Ensembles, Claus Peymann, hat zu verstehen gegeben, dass er eine Person des Namens kenne, sich aber nicht mehr erinnere, um welche es sich handele.
Ungeachtet solcher philologischen Kleinigkeiten ist die Uraufführung des Stücks schon vergeben. Christoph Schlingensief – wer sonst? – wird das Stück demnächst in Kabul herausbringen. AUFGESCHRIEBEN VON
RAYK TEUTONICUS WIELAND
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