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pampuchs tagebuchZwei Sterne für die Sünde

Wir 31 Millionen Mitglieder der weltumspannenden AOL-Rundum-Versorgungs-Institution haben es nicht leicht. Ständig ist unser Konzern auf der Suche nach neuen Attraktionen für uns. Die Startseite von AOL ist daher, wie jede Startseite, ein Rattenfänger. So weit, so schlecht, und wenn ich mehr von Computern verstünde, hätte ich mir die Seite längst selbst nach meinen Vorstellungen zurechtgeschustert, ohne das ganze verwirrende Angebot. Andererseits steht man mitten in der Welt, und es ist ja auch nicht uninteressant, was die AOL-Redakteure jeden Tag als Schlagzeilen hinknallen und wohin sie einen verlinken wollen. Darüber wollen wir uns jetzt mal gar nicht aufregen. Damit können wir AOL-User umgehen, da gehen wir dran vorbei wie an Auslagen oder Zeitungskästen, nutzen es, wenn es uns gefällt, meistens aber ignorieren wir es einfach.

Doch Rattenfänger arbeiten mit Speck. Die Medien, die Industrie, unser ganzes System, sie alle leben davon, unsere Aufmerksamkeit zu erregen und uns dazu zu bringen, etwas zu tun, anzusehen, vor allem aber: zu kaufen, was wir sonst nicht tun, ansehen, kaufen würden. Die AOL-Starseite ist also natürlich auch eine ganz normale Speckseite, die uns zum Konsum bringen soll. Darf sie ja von mir aus auch versuchen. Was ich allerdings seit neuestem beklage, ist, auf welch freche Weise sie es tut.

Eine Erotiksite anzuklicken, wie sie AOL neulich groß auf der Startseite anbot, gehört sicher zu den lustigeren Übungen eines Internetkolumnisten auf der Suche nach heißen Themen. Es ist aber auch erhellend, denn es scheint, dass sich AOL, die Telekom und die Pornoindustrie da zu einer ziemlich wüsten Techno-Orgie zusammengeschlossen haben, um jeden, der neugierig reinguckt, an einen Angelhaken zu nehmen, von dem kaum noch loszukommen ist. Nachdem ich auf die Seite http://195.4150.156/ geschickt worden war und dort neugierig das Angebot prüfte, musste ich feststellen, dass während dieses sündigen Tuns offensichtlich meine Festplatte auf ewig fest mit diesem Schweinereienportal (superportal dsx 0190896977l) verkoppelt wurde, ohne dass ich dazu auch nur die geringste Erlaubnis gegeben hatte.

Seit ich mich bei jener Recherche durch das Angebot mit seinen „voyeurcams“ (Wohnzimmer 1), „Hardcorevideos“ (barely legal) und „hardcore pics“ (Neu! Voll rein!) gezappt und es einer strengen Prüfung unterzogen habe (Gesamturteil: gynäkologisch orientierte Wackelpornos), sitzen unten auf meiner Taskleiste, gleich neben der Uhr, zwei gelbe Sowjetsterne, die durch keine der mir bekannten Programme und Einstellungen zu entfernen sind. Sehr peinlich! Klicke ich sie an, geht sofort das Fenster mit dem bewussten Superportal auf. Es verkündet „EUR 1,85/Min DM 3,63/Min pro Kanal“ – was mir bei meinem von AOL gepowerten Streifzug entgangen sein muss – und bringt mich dann direkt (ohne den Umweg über AOL) wieder voll rein in das Hardcore-Voyeur-Wohnzimmer-Pics-Angebot.

Aus der Seite rauszukommen ist dagegen sehr schwierig und geht nur, indem man den Computer abschaltet! Gott straft. Die kleinen Dinge sofort. Man könnte sagen, geschieht jedem recht, der sich auf solche Schmuddelseiten begibt, und ich muss ja die Pornosternchen nicht anklicken. Ich möchte aber keine Pornosternchen auf meiner Taskleiste! Und ich möchte im Internet nicht einfach auf 01 90er Nummern transferiert werden. Sollte mir die Telekom demnächst eine erhöhte Rechnung – irgendwas mal DM 3,63 – schicken, muss ich wohl Rabatz machen. Und bei AOL auch, denn bei aller Liebe, irgendwie erscheint mir diese Bauernfängerei „barely legal“.

THOMAS PAMPUCH

ThoPampuch@aol.com

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