Was denken die anderen? taz-Auslandskorrespondenten über das Leben in ihrer Region nach den Angriffen auf New York und Afghanistan: „Lovely day, isn‘t it?“
NEUE FREUNDE lll: Cornwall war schon immer weit weg von allem. Die Terroranschläge haben das nicht geändert
MAREIKE BARTON über die Cornish, die im Krieg sind, sich aber nicht so fühlen
„Afghanistan?“, sagt mein Nachbar gelangweilt, „von hier ist doch London schon weit weg!“ In der Tat ist in Cornwall nicht viel vom Krieg zu spüren, obwohl 20.000 britische Soldaten in Oman auf ihren Einsatz warten. Das Fernsehen zeigt zwar die obligaten Bilder von Explosionen im Nirgendwo und einem immer müder wirkenden Tony Blair auf Staatsbesuch bei Muslims, doch dann ist es auch schon wieder Zeit für das Wetter, und eine Blondine unterm Regenschirm verkündet fröhlich, dass es „zu Schauern aufhellen“ wird. Gespräche werden wie immer mit „Lovely day, isn’t it?“ gestartet, bevor man dann auf die armen Feuerwehrmänner zu sprechen kommt. Einen Monat lang hat die „Cornwall Fire Brigade“ für ihre Kollegen in New York gesammelt. £ 38.000 sind zusammengekommen, u. a. £ 500 durch eine von British Gas organisierte Filmvorführung der Arbeiterstrip-Komödie „Ganz oder gar nicht“.
Gasmasken waren in Cornwall schon eine Woche nach den Terroranschlägen in Amerika ausverkauft – die meisten Kunden kamen allerdings aus London, die dort keine Masken mehr finden konnten. Die cornischen Behörden und die Feuerwehr sind mit Notfällen anderer Art beschäftigt: Da ist ein freiwilliger Test von elektrischen Wärmedecken durchzuführen oder eine „Kampagne zur Erhöhung des Anteils an Rauchalarmbesitzern“. Und die Gefahr einer gigantischen, durch einen Vulkanausbruch ausgelösten Flutwelle, die Cornwall überschwemmt, scheint Behörden und Bevölkerung größer als ein terroristischer Anschlag – worauf sollte der auch zielen? Dass mit der „Goonhilly Earth Station“ in Cornwall die größte Satellitenanlage der Welt steht oder in Morwenstow an der cornischen Nordküste mehrere Satellitenempfänger für das umstrittene Kommunikationsüberwachungssystem Echelon arbeiten, ist vielen nicht bekannt – oder einfach egal.
In der Lokalzeitung werden Ehefrauen cornischer Marinesoldaten in Oman interviewt: „Ja, natürlich mache ich mir Sorgen.“ Das sehen Leserbriefschreiber anders, vermutlich Veteranen des Zweiten Weltkriegs, die erbost darauf hinweisen, dass die Navy zum Kämpfen da sei und nicht nur dazu, ihren Soldaten die Gelegenheit zu bieten, in schmucker Uniform durch die Hafenstädte der Welt zu flanieren. Auch beleibte Hoteliers und ältliche Inhaberinnen von Bed & Breakfasts am Küstenpfad erscheinen mit Foto und dürfen über das Ausbleiben amerikanischer Touristen klagen: „Erst die Maul- und Klauenseuche, jetzt der Terrorismus, das ist nicht fair.“ Mütter haben andere Sorgen. „Hoffentlich werden jetzt nicht die Zuschüsse für Kindergärten und Babygruppen wieder gestrichen“, heißt es, denn so ein Krieg müsse ja schließlich irgendwie finanziert werden. Und Cornwall als ärmstes Land Großbritanniens hat bisher von Labours „Kampf gegen die Armut“ profitiert. In der Tat sieht Schatzkanzler Gordon Brown von Woche zu Woche düsterer aus und murmelt dumpf etwas von Steuererhöhungen.
Auch die cornische Unabhängigkeitspartei „Mebyon Kernow“ meldet sich zu Wort; auf ihrer Jahreshauptversammlung, auf der 80 Mitglieder erschienen sind, spricht sie sich gegen die Bombardierung Afghanistans aus – eine Viertelseite im West Briton ist ihr damit sicher. Allerdings erst auf Seite 13, denn zuvor kommen all die aktuellen Nachrichten von dem Testergebnis der elektrischen Decken (Durchfallquote 60 Prozent), dem Austernfestival in Falmouth und dem Sieger im Wettbewerb „Größter Kürbis im Schrebergarten“. Ja, London ist weit. Und erst Afghanistan?
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