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Gesichter des Todes

■ Das Projekt „Verdi – Nachdenken über den Tod“ in der Glocke: Was kommt heraus, wenn Schüler sich mit dem Ende des Lebens befassen?

„Der Tod ist ein Thema, das jeden angeht, das keiner kennt und keiner versteht. Die Geier kommen, das Land liegt brach, was ist wichtig im Leben, was ist danach?“

Nur wenige Menschen erleben einen glücklichen Tod. Meist erscheint er als numinoses, angstvoll erwartetes Glied am Ende einer Kette unbeantworteter Fragen, die das Leben betreffen und deren erstes Stück den Namen Geburt trägt. Das Zitat ist Teil eines längeren Textes, der zu einem Lied, das „Der Tod“ heißt, gehört. Dessen Autor ist 15 Jahre alt, Schüler der 10. Klasse der Realschule in Kirchlinteln. Er heißt Sebastian. Ein schlanker, streetwise gekleideter Junge, um den sich, als ich ihm ein paar Fragen stelle, seine Kumpels versammeln wie Hühner um ihren Hahn.

Sebastian ist einer von vielen, überwiegend jugendlichen Teilnehmern des von der EuropaChorAkademie organisierten Schulprojekts „Erlebnis Musik“. Das Projekt diene, so die Organisatorin Elke Kruse, einerseits dazu, „jungen Menschen den Zugang zur klassischen Musik zu erleichtern und andererseits Schulen im Projektunterricht zu unterstützen“. Nachdem in den vergangenen Jahren „Goethe“ sowie „Nationalsozialismus“ Gegenstand waren, ist in diesem Jahr der „Tod“ das Thema. Und natürlich hat auch der gute alte Guiseppe Verdi damit zu tun, geht es doch um Musik. Und so nahm man im Verdi-Jahr, im 100. Jahr seines Todes, sein Requiem als Anlass, zum Nachdenken über den Tod in den Schulen anzuregen. Nicht, dass Sebastians Lied, man kann auch Track dazu sagen, im entferntesten etwas mit dem Requiem des Meisters zu tun hat. Aus dem CD-Player ertönen am Computer selbst zusammengebastelte Beats und einfache ätherische Melodien, darüber der Sprechgesang des Jungen. Ein Ergebnis unter vielen, und ein schönes dazu.

Präsentiert wurde es erstmals gestern, zur offiziellen Ausstellungseröffnung im Saal der „Glocke“. Die wiederum wird flankiert von sogenannten Aktionstagen, deren Sinn auch darin besteht, wenigstens für zwei Tage, bis heute also, Theaterstücke und musikalische Inszenierungen erlebbar zu machen. Denn seit den Sommerferien arbeiteten die Schulen Bremens und des Umlands fächerübergreifend nicht nur an Bildern, Skulpturen, Installationen, Collagen, Gedichten und Briefen, sondern auch an leichter flüchtigen und schwer auszustellenden Gegenständen: Arbeiten auf Wind und aus Menschen gewissermaßen. Dort wird dann auch der Bezug zu Verdi deutlich: das ernste Requiem dient der musikalischen Untermalung der drei Theaterstücke, deren zweites die Anwesenden – Schüler und Lehrer meistenteils – so sehr bezaubert, dass das an- und aufgeregte Gemurmel in der Aula verstummt. Am Ende weinen auch einige. Bilder und Assoziationen zum Tod haben die ca. 20 Schülerinnen und Schüler der 10. Klasse des Gymnasiums in Osterholz/Scharnbeck in Szenen gepackt. Ganz in Schwarz, die Gesichter totenblass, kokettieren sie mit der Apokalypse, werfen in ihrer zweiten Darbietung, den Tod in der Kehle, Sätze durch den Raum: „Keine Atmung, kein Kreislauf, keine Hirntätigkeit.“ Oder: „Der Tod, das ist ein kühler Grund.“ Zum Ende ein todtrauriges Lied.

Die Wände des Saals sind gesäumt von der Bild- und Textkunst der Jugendlichen. Hier und an frei stehenden Stellwänden inmitten des Raumes hängen düstere, bisweilen religiös anmutende Ölgemälde, Aufsätze über Satanismus, eine phantastisch-verzweifelte Guck-Installation über den Freitod, die Noten des Verdi-Requiems, Schwarz-Weiß-Fotos von Friedhöfen, Collagen von Katastrophen und Gewalt und, wer hätte es gedacht, Bilder des Terroranschlags vom 11. September: die Explosionen und leblos in sich zusammensackende Wolkenkratzer.

Überhaupt überwiegen die Bilder der Gewalt. Es scheint, als wäre der Zugang zum Tod, insbesondere für Menschen in diesem Alter, am leichtesten über die grausig vertrauten medialen Inszenierungen von Massengräbern, Kriegsverwüstungen, Leichen und Explosionen möglich. Bezeichnend ist ferner das mangelnde Vertrauen der Schüler in die Bildsprache ihrer Arbeiten.

Häufig kleben ausgeschnittene Worte über ihren Trägern, den Bildern. Der Schriftzug „Explosion“ ziert dieselbe; das Wort „Krieg“ bezeichnet das blutige Geschäft. Ob es sich dabei um Unsicherheiten im künstlerischen Ausdruck oder Zugangsschwierigkeiten zu einem womöglich weit entfernten Thema handelt, mag dahin gestellt bleiben.

Umringt von seinen männlichen Klassenkameraden – wer skills hat, ist beliebt – erzählt mir Sebastian von den Schwierigkeiten, die manche seiner Mitschüler mit dem Sujet Tod hatten: „Einige haben versucht, dem Thema aus dem Weg zu gehen. Haben sich lustig darüber gemacht.“ Und er selbst? „Nö, ich nicht. Der Tod ist mir schon öfters begegnet. Zuletzt als ein Klassenkamerad von mir gestorben ist, in der Grundschule.“

Michael Saager

Die Ausstellung „Verdi – Nachdenken über den Tod“ noch bis zum 07. November in der Glocke. Letzter Aktionstag: 26. Oktober von 10 bis 13 Uhr

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