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Gebolze beim Requiem

■ Zwei Klaviere und eine Pauke sind nicht genug. Die St. Pauli Kantorei führte Johannes Brahms und Gustav Mahler auf

Interpretatorisches Glück lag nicht unbedingt über diesem Abend. In ihrer Reihe von Requiemvertonungen wollten die Bremer KichenmusikerInnen zum zweiten Mal gemeinsam ihre kulturpolitische Bedeutung für die musikalische Basis in dieser Stadt öffentlich machen.

Doch Johannes Brahms' „Ein deutsches Requiem“, 1868 uraufgeführt im Bremer Dom, mit zwei Klavieren aufzuführen, haut einfach nicht hin. Da kann man noch so viel rationalisieren, Brahms selbst habe diese Fassung hergestellt – damals allerdings für eine private Aufführung in London. Die einfache Besetzung wurde schlicht aus Kostengründen gewählt. Der Hörer glaubt dadurch, bei einer Probe dabei zu sein. Da nutzt auch der Zusatz der Pauken nichts, die Heinrich Poos wegen einer besseren Dramatisierung in unserer Zeit noch hinzugefügt hat.

Eines allerdings wird in dieser Klavierfassung klar. Die St. Pauli-Kantorei unter der Leitung ihrer Kantorin Sigrid Bruch legt geradezu erbarmungslos die geringsten Schwächen des Chors bloss, der sich sonst recht gut im Orchesterklang einnisten kann, so dass bei weitem nicht alles gehört wird. Eine solche immens schwere Partitur führt einen Laienchor an seine äußerste Grenzen, und es ist keine Schande, dass man das auch hört.

Dennoch erklangen die von Brahms selbst ausgesuchten Texte aus der Bibel, die anders als der Requiemtext aus der katholischen Liturgie vom Trost sprechen, mit grosser Innigkeit und Kraft. Die Pianistinnen Corinna Stanze-Frank und Birgit Seidel und der Paukist Volker Mauruschat machten ihre Sache gut, hatten aber leider nicht die geringste Chance, über die klanglichen Probleme hinwegzuspielen.

Wie heikel die beiden zentralen Solopartien sind, liess sich in den Wiedergaben von Martina Schänzle (Sopran) und Peter Frank (Bariton) leider nicht überhören. Schänzle sang mit einem mangelnden Piano einfach zu scharf und Frank mit argen Höhenproblemen fast ohne die Klangfarben, die seinen bittenden Text entsprochen hätten. Darunter litten auch die einleitenden „Kindertotenlieder“ von Gustav Mahler, denen Frank in der gestrigen stimmlichen Verfassung einfach wenig gewachsen war: Nichts von den Ausdrucksbreiten dieses erschütternden Werkes wie „ruhelos schmerzvoll“, „mit ausbrechendem Schmerz“, „schlicht, aber warm“ oder „mit Erschütterung“ war zu hören. Es kann allerdings sein, dass Frank die Atmosphäre nicht herstellen konnte, weil er keine klangliche Basis hatte. Denn bei dieser Wiedergabe entstand dasselbe Problem wie beim Requiem: die Klavierfassung wirkt eher karikatural, besonders im letzten Lied, in der das Orchester eine Wetterkatastrophe nachzuzeichnen hat: Das klingt dann nur noch wie ein leeres Gebolze.

Dennoch konnten die Bremer KirchenmusikerInnen ihre kulturpolitische Bedeutung für die musikalische Basis in der Stadt deutlich machen. Die große Zahl der Besucher in der Kirche Unser Lieben Frauen zeigt, dass die grosse Kirchenmusik in den Interpretationen der städtischen Kantoreien angenommen wird und erwünscht ist. usl

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