Nur Kampf im kalten Kiew

Nach dem, die WM-Qualifikation immer noch nicht endgültig relegierenden 1:1 in der Ukraine diskutiert die DFB-Prominenz nun engagiert aus, ob das Glas halb voll oder doch eher halb leer ist

von FRANK KETTERER

Die Nacht war kalt geworden über Kiew, bitter kalt sogar, und da war es nur gut, dass die deutsche Delegation im Bauch des alten Olympiastadions genügend Gespächsstoff parat hatte, um sich ein wenig das Eis aus den Knochen zu diskutieren und schon mal warm zu reden für den zweiten Akt der nationalen Mission, die deutsche Nationalmannschaft per Relegationspartien gegen die Ukraine doch noch zur Fußball-Weltmeisterschaft nächstes Jahr in Japan und Sükorea zu bringen. Teil eins war gerade beim Stande von 1:1 abgepfiffen worden, und letztlich war es diesem Ergebnis geschuldet, dass sich das mitgereiste Fachwissen, darunter annähernd sämtliche Bundesliga-Manager, schnell und mühelos erhitzte.

„Wir haben jetzt eine gute Basis für das Rückspiel“, behauptete etwa Gerhard Mayer-Vorfelder, der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), während auch Oliver Kahn, sein Torsteher, sich und seinen Kollegen „eine gute Ausgangsposition“ fürs Rückspiel diesen Mittwoch im Dortmunder Westfalenstadion (20.30 Uhr) bescheinigte, womit er nicht grundsätzlich kollidierte mit der Meinung seines Münchner Vereinspräsidenten und DFB-Vize Franz Beckenbauer, der schlicht und ergreifend feststellte, dass man mit dem 1:1 leben könne, und damit wiederum, ganz Lichtgestalt, just die gleichen Worte wählte wie DFB-Teamchef Rudi Völler selbst. Der hatte immerhin die Zusatzinformation parat, dass man noch „eine zweite Halbzeit über 90 Minuten“ vor sich habe, in der man „genauso engagiert“ zu Werke gehen müsse wie in der zurückliegenden ersten. Viel mehr an Substanziellem aber war der Runde dann endgültig nicht mehr zu entlocken, und letzten Endes hätte man den Herren Fachmännern durchaus auch ein halb gefülltes Glas Wasser hinstellen können, verbunden mit der undankbaren Aufgabe, festzustellen, ob dieses nun halb voll oder doch eher halb leer ist. Wahrscheinlich hätten sie auch darüber heiß diskutiert.

Andererseits: Was sonst auch hätten sie sagen sollen über ein Spiel, das in etwa so verlaufen war, wie man es hatte erwarten müssen? Viel Kampf, viel Krampf, viel Nervosität. Vielleicht müssen Spiele wie dieses ja so sein. Vielleicht aber können beide Mannschaften, Deutsche wie Ukrainer, schlichtweg nicht viel mehr, sonst hätte man sie ja auch kaum zum Nachsitzen gezwungen. Und näher betrachtet liegt darin fast schon wieder Ermutigendes, zumindest für die deutschen Kicker: Denn jenes Schreckgespenst, das hierzulande vor der Partie an beinahe jede Wand gemalt wurde, stellten die Ukrainer nun wirklich nicht dar, selbst Andrej Schewtschenko nicht. Der Superstar vom AC Mailand, abwechselnd von Rehmer, Linke und Hamann behütet, blieb über die kompletten 90 Minuten erstaunlich blass; dass ausgerechnet sein Freistoß es war, der in der 18. Minute zur Führung für die Ukraine führte, war eher dem Zufall geschuldet denn überbordendem Genie: Abprallend von der deutschen Mauer, fiel der Ball Subow vor die Füße, der den Rest erledigte.

Da sah es kurze Zeit nicht gut aus für die deutschen Kicker, zumal schon in Minute zwei Worobej ganz allein vor Torhüter Kahn aufgetaucht war, den Ball aber an den Pfosten setzte anstatt ins Netz. Erst als die WM-Teilnahme bereits am Horizont zu verschwinden drohte, besann sich die DFB-Elf auf das Wenige, was sie noch kann: Rennen, kämpfen, grätschen – die deutschen Tugenden eben. Für einen Hauch von Spielerischem schien sich fast ausschließlich der Leverkusener Bernd Schneider zuständig zu fühlen, der in seinem ersten Länderspiel nach zwei Jahren Pause für vereinzelte Lichtblicke auf der rechten Seite sorgte, über die annähernd alle Angriffsbemühungen liefen. Ganz bestimmt kein Zufall war, dass Schneider auch an den gefährlichsten DFB-Aktionen, bezeichnenderweise Standardsituationen, ganz direkt beteiligt war: Seinen ersten Eckball (25.) setzte Linke per Kopf an die Latte, den zweiten (27.) Rehmer leicht darunter, allerdings so, dass ihn der kleine Subow noch wegköpfeln konnte, was allerdings so aussah, als habe er das erst hinter der Torlinie getan. Immerhin der dritte Standard saß dann: Freistoß Schneider, Verlängerung per Kopf durch Zickler und das 1:1 in Minute 31 durch den im Nationaldress erneut zurückhaltenden Ballack.

Der große Rest? Noch mehr Krampf, ähnlich viel Kampf, wohlgemerkt auf beiden Seiten, begleitet allerdings von dem beklemmenden Eindruck, dass die DFB-Kicker mit dem Ergebnis schon halbwegs zufrieden schienen: Man hatte den Willen aufgebracht, das Schlimmste zu vermeiden, dann aber fehlte der Wille, auch noch mehr daraus zu gestalten, was gegen diese Ukrainer durchaus möglich scheint, wenn man sie nur ihrerseits unter Druck setzt – und sei es auch nur mit deutscher Tugend.

Da soll nun ganz offenbar am Mittwoch in Dortmund geschehen. „Ich weiß, was die Jungs drauf haben. Das werden wir auch am Mittwoch zeigen“, sprach jedenfalls Oliver Kahn, und auch Teamchef Völler ist dort nicht auf ein torloses Remis aus, das ja nun bereits die WM-Teilnahme sichern würde. „Wir müssen am Mittwoch genauso engagiert in die Partie gehen wie heute, aber auf 0:0 können wir nicht spielen, auf keinen Fall“, blickte Völler nach vorn, was kein schlechter Plan scheint, angesichts der Tatsache, dass die Ukraine in der bisherigen WM-Qualifikation auswärts drei Mal gewonnen, zwei Mal remisiert, kein Mal verloren – und dabei immer mindestens ein Tor geschossen hat. Vielleicht fiel deshalb der Kommentar zum Hinspiel von Leonid Burgik, Co-Trainer des schweigsamen Waleri Lobanowski, eher kalt aus, so kalt wie die Nacht über Kiew: „Die Chancen stehen nach diesem Spiel für beide Mannschaften gleich.“

Ukraine: Lewitzki - Luschny, Waschtschuk, Golowko, Nesmatschny - Subow, Timoschtschuk (73. Parfjonow), Gusin - Schewtschenko - Rebrow (56. Schischtschenko), Worobej (76. Melaschtschenko)Deutschland: Kahn - Rehmer, Nowotny, Linke, Ziege - Schneider (79. Ricken), Ramelow, Hamann, Ballack - Asamoah, Zickler (68. Jancker)Tore: 1:0 Subow (18.), 1:1 Ballack (31.)