: Abfindung, oder wir sprengen die Fabrik!
3.287 Beschäftigte der französischen Firma Moulinex drohen mit Dynamit, weil sie ohne Prämie entlassen werden sollen. Seit das Unternehmen vom Hauptkonkurrenten SEB übernommen wurde, wird die Produktion reduziert, Personal entlassen. Vier Fabriken haben bereits dichtgemacht
aus Paris DOROTHEA HAHN
„Nie“ hätten die ArbeiterInnen der Moulinex-Fabrik in Cormelles-le-Royal gedacht, dass sie eines Tages mit Sprengstoff drohen müssten, um wenigstens eine anständige Prämie zu bekommen, wenn sie schon arbeitslos werden. Bei jeder der zahlreichen Krisen der letzten Jahre in dem traditionsreichen Haushaltsgeräteunternehmen suchten sie nach konstruktiven Lösungen. Aber seit klar ist, dass ihre Fabrik geschlossen wird, haben sie sich verbarrikadiert, haben „explosive Stoffe“ an mehreren Stellen installiert und drohen der Regierung, dass sie die ganze Anlage in die Luft gehen lassen, wenn sie nicht mindestens 12.200 bis 15.200 Euro pro Person bekommen.
Seit diese Drohung Anfang der Woche ausgesprochen war und seit eine erste Bude der Fabrikanlage vor laufenden TV-Kameras in Flammen aufging, ist Bewegung in die zuvor schleppenden Verhandlungen in Paris gekommen. Am Mittwochabend war erstmals von rund 7.600 Euro Entschädigung pro Person die Rede. Zu wenig, um die wütende Basis in der Normandie zufrieden zu stellen. Aber immerhin ein Zeichen, dass die Drohung gewirkt hat, wie der CGT-Gewerkschaftsvertreter Lionel Muller feststellte. Gestern gingen die Verhandlungen weiter. Ein neues Angebot lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor.
Die seit Wochen besetzte Moulinex-Fabrik, aus der in besseren Zeiten unter anderem Mikrowellenherde kamen, befindet sich in einem wirtschaftlichen Katastrophengebiet, das auch von dem Stahlsterben der 70er-Jahre schwer getroffen war. Nur wenige haben damals neue Arbeit gefunden. Ein ähnliches Schicksal befürchten jetzt die 3.287 Beschäftigten, darunter eine Mehrheit von Frauen, die dem im Oktober gerichtlich bewilligten Verkauf von Moulinex an seinen bisherigen Hauptkonkurrenten auf dem französischen Haushaltsgerätemarkt, SEB, zum Opfer fallen. Das Unternehmen SEB übernahm zwar den einstigen Moulinex-Chef Patrick Puy in seine Chefetage, wird jedoch vier Fabriken in Frankreich schließen – darunter Cormelles-le Royal. „Die Regierung kehrt sich einen Dreck um uns“, klagen die ArbeiterInnen in Cormelles-le-Royal. Vergeblich hatten sie gehofft, „Paris“ würde sich für die Vielfalt in der Herstellung französischer Haushaltsgeräte einsetzen.
Eine ähnliche Kampfmethode wie jetzt bei Moulinex hat schon im vergangenen Jahr in einer von der Auslagerung in Billiglohnländer betroffenen Branche einen gewissen Erfolg gebracht: der Textilherstellung. Im Juli 2000 drohten die TextilarbeiterInnen von Cellatex damit, ihre Fabrik zu sprengen. Das gab den Ausschlag für die Prämien für die Entlassenen, die heute fast alle arbeitslos sind.
Für die rot-rosa-grüne Regierung in Paris könnten die Proteste kaum ungünstiger kommen. Im Frühjahr sind Wahlen und die Linken wollen sie unter anderem mit dem Thema Beschäftigungspolitik gewinnen. Auch deswegen haben sie dieses Jahr ein „Gesetz für die soziale Modernisierung“ verabschiedet. Nachdem sich jetzt bei Moulinex erneut zeigt, dass damit keine Massenentlassungen verhindert werden, beauftragte Premierminister Lionel Jospin einen „Monsieur Moulinex“. Michel Bove soll die „soziale Abfederung“ für die künftigen Arbeitslosen organisieren. Die weitere Entwicklung in der Normandie hängt auch von der Höhe seines Schecks ab.
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