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Maulkorbland Marokko

Zuerst kam die Geldstrafe. Dann vier Monate Haft für den Herausgeber. Und am Samstag wurde die unabhängige Wochenzeitung „Demain“ unmittelbar nach der Auslieferung wieder beschlagnahmt

aus Madrid REINER WANDLER

Für Robert Menard, Generalsekretär von Reporter ohne Grenzen (RsF), ist der Fall klar: „Die marokkanischen Autoritäten suchen einen Weg, um endgültig eine der wenigen Zeitung, die offen informieren, zum Schweigen zu bringen.“ Menard versucht sich seit Wochen schützend vor Ali Lmrabet, den Herausgeber von Demain Magazin, zu stellen. Vergebens: Am Samstag holte Marokkos Innenminister Driss Jettou erneut zum Schlag gegen die unabhängige Wochenzeitschrift aus. Die aktuelle Nummer durfte zwar ausgeliefert werden – um anschließend sofort wieder beschlagnahmt zu werden.

Demain-Chef Lmrabet war schon im November wegen „Verbreitung falscher Informationen und Angriff auf die öffentliche Ordnung“ zu vier Monaten Haft und 30.000 Dirham (umgerechnet 3.000 Euro) Geldstrafe verurteil worden. „Ich habe niemanden beleidigt oder verleumdet“, beschwert sich Lmrabet, „ich habe nur einen Artikel veröffentlicht, nachdem das Königshaus einen seiner unzähligen Paläste verkaufen will.“

Der Journalist, dessen Blatt dank einer Boykottkampagne ohne Werbung auskommen muss, glaubt an eine „Abrechnung“ seitens der Regierung. Immer wieder hatte Lmrabet Texte über die Drogenmafia und ihre Kontakte zu hohen Führungspersonen veröffentlicht.

Doch was das Fass jetzt zum Überlaufen brachte, war ein Vorabdruck des neuesten – in Marokko verbotenen – Buches von Jean-Pierre Tuquoi, „Le dernier Roi“. Der Maghreb-Spezialist der französischen Tageszeitung Le Monde gibt darin einen tiefen Einblick in das Innenleben des marokkanischen Königshauses – bis hin zu den Immobiliengeschäften bei Hofe.

Lmrabet hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. Die Haftstrafe konnte er dadurch aufschieben, nicht aber die Zahlung der Geldbuße: Am Freitag war Zahltag. Doch als Lmrabets Anwalt den Scheck zur Gerichtskasse brachte, wollte der zuständig Beamte einen Bürgen. Als der beigebracht war, wollte das Gericht plötzlich Bargeld. Der Anwalt kam wenig später mit der gewünschten Summe zurück. Doch da war die Kasse schon geschlossen – der zuständige Beamte hatte seinen Feierabend vorgezogen. Erst nach Protesten von RsF gelang es, am Samstag doch noch zu bezahlen.

Das mittlerweile über Demain verhängte Vertriebsverbot wurde daraufhin wieder aufgehoben – doch kaum waren die ersten Hefte am Kiosk, schritt die Polizei zur Beschlagnahmung: „Die wollen uns erniedrigen. Das ist das Marokko von heute“, sagt Lmrabet. Das Vorgängerblatt von Demain wurde vor genau einem Jahr geschlossen, jetzt fürchtet Lmrabet ein erneutes Aus für seine Arbeit.

Die Zeiten der Hoffnung auf eine Öffnung unter dem seit zwei Jahren amtierenden König Mohamed VI. sind längst vorbei.

Fast wöchentlich muss sich RsF mittlerweile um einen Fall aus Marokko kümmern. Die Internetseite einer islamistischen Zeitschrift ist seit April blockiert. Ein Reporterteam des französischen Fernsehsenders France 3 wurde mehrere Tage in einem Hotel festgehalten, nachdem es eine Menschenrechtskundgebung gefilmt hatte. Spanische und französische Zeitungen, die kritisch über die ausbleibende Reformpolitik des jungen Monarchen berichten, ereilen immer wieder Vertriebsverbote. Spanische Journalisten, die aus der von Marokko besetzten Westsahara berichten wollten, wurden festgenommen und nach Rabat abgeschoben.„Die marokkanischen Autoritäten respektieren mittlerweile nicht einmal mehr ihre eigenen Gesetze“, erklärt RsF-Generalsekretär Menard.

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