: Kammerphilharmonie: Hits statt Programmatik
■ Das erfolgreiche Orchester orientiert sich zunehmend an populären Konzepten
Kulturpolitische Höhen und Tiefen haben die MusikerInnen der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen durchgemacht, seit sie sich vor zehn Jahren entschlossen haben, den Weg von Frankfurt nach Bremen zu wagen.
In Frankfurt war es nicht mehr möglich, die Unterstützung für das ehrgeizige Orches-ter weiter aufzubringen. Ein Kritiker der Frankfurter Rundschau schrieb kürzlich anlässlich eines Konzertes dort, dass es noch immer richtig wehtue, dass dieses Orchester nicht mehr da ist. Wir haben es, und wir genießen es immer wieder.
Die gut dreissig MusikerInnen hatten zunächst einmal den Anspruch, ohne festen Dirigenten, nur projektgebunden zu arbeiten. So luden sie für jedes Projekt ausgewiesene Fachleute ein, bestimmte Dirigenten für Alte Musik und bestimmte Dirigenten für zeitgenössische Musik. Doch die Entwicklung auf dem Weltmarkt fordert ihren Tribut, fordert Marktanpassung im Repertoire und andere Strategien der Künstlerengagements.
Schon nach zwei Jahren wurde Thomas Hengelbrock als musikalischer Leiter fest eingestellt und seit 1995 ist der ewig junge Daniel Harding so richtig Chefdirigent, der dieses Jahr Gott sei Dank endlich nicht mehr als Stardirigent bezeichnet wird. Dessen Namen bringt Engagements in aller Welt, und die braucht man.
Denn die deutsche Kammerphilharmonie ist nicht nur der musikalische Botschafter Bremens, das Orchester verdient auch sein Geld damit. Nach wie vor lebt das Orches-ter mit der Rechtsform einer GmbH und einer staatlichen Subventionierung von nunmehr 2,8 Millionen Mark (im Vergleich: das Staatsorchester kostet 5,6 Millionen bei einem Stand von ca. 15 fehlenden Stellen) von Sponsoren und vor allem Auftritten.
Und so gibt es bei der Kammerphilharmonie auch nach zehn Jahren noch keinen Abend der Müdigkeit, der Routine: Noch immer scheint die Gründungsmotivation, auf keinen Fall „beamtet“ Musik zu machen, zu tragen. Die Manager der Kammerphilharmonie haben ein fabelhaftes Gespür für die Qualität der Gäste, da gab es keinen einzigen Flop in den ganzen Jahren.
Und die Projekte, die aufgebaut wurden, lassen sich weiterhin sehen und hören: zum Beispiel das Schulprojekt „Respons“, in dem KomponistInnen und MusikerInnen mit Schulklassen arbeiten, zum Beispiel der populäre „Sommer in Lesmona“, zum Beispiel die Kinderkonzerte in der Glocke. Albert Schmitt, Geschäftsführer: „Wir wissen, dass wir uns um unseren Publikumsnachwuchs selber kümmern müssen“.
Alles bestens also bis auf eins: Das Orchester hatte nicht nur Anspruch, allererste Interpretationen abzuliefern, es war auch die Rede von alternativen Programmen mit den Schwerpunkten Alte und Neue Musik. Ambitionierte avantgardistische Projekte wie die Wiedergabe des Klavierkonzertes von Klaus Huber waren nie in Bremen zu hören.
Von diesem Anspruch ist also schlichtweg nichts mehr übrig geblieben, eine Tatsache, die sich schon seit längerer Zeit abzeichnet. Dabei hat das Orchester 1995 eine Publikumsbefragung durch geführt, nach der mehr Barock- und zeitgenössische Musik, weniger Klassik und Romantik gewünscht wurde.
Das Programm der Jubiläumssaison 2002 – sowohl in Bremen als auch das der Tourneekonzerte – ist von einer derartigen Beliebigkeit und diffusem Wunschkonzert-Charakter, dass man die frühere Handschrift der Deutschen Kammerphilharmonie nicht mehr erkennt. Unter solchen nichts sagenden und austauschbaren Titeln wie „Geniestreiche“ (Schumann, Vierte Sinfonie), „Klanggemälde“ (Mussorgski, Bilder einer Ausstellung), „Virtuose Impressionen“ (Ravel, Tzigane), „Chefsache“ (Harding dirigiert), „Reisepost“ (Mendelssohn, Schottische Sinfonie) werden die Hits der Orchesterliteratur gespielt, einer nach dem anderen. Darüber können wenige Ausnahmen, wie das erste Konzert mit drei Sinfonien des in der Musikgeschichte noch immer unterschätzten Carl Philipp Emmanuel Bach unter der Leitung von Ton Koopman nicht wegtäuschen.
Von zeitgenössischer Musik haben sich die ProgrammplanerInnen auch schon lange verabschiedet. Ein einziges Konzert unter der Leitung von George Benjamin ist angekündigt, wobei dann mit Luciano Berio, Luigi Dallapiccola und vor allem Manuel de Falla auch schon regelrechte Klassiker zu hören sind.
Vielleicht fragen sich die MusikerInnen der Kammerphilharmonie, was diese Kritik soll – denn Ovationen und die stets ausverkaufte Glocke scheinen ihnen Recht zu geben. Wirklich?
Ute Schalz-Laurenze
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