Metzelei in Bullerbü

Weihnachten unter Meerschweinchen – ein Sexdrama mit vier Probanden: Benny, Björn, Agnetha und Annafrid

Als ich fünf Jahre alt war, bekam ich zu Weihnachten vier Meerschweinchen: Zwei Männchen und zwei Weibchen, jeweils eines mit dunklem und eines mit hellem Fell. Ich nannte sie Benny, Björn, Agnetha und Annafrid. Warum, weiß ich heute nicht mehr so genau, aber ich glaube, es war, weil der Holzkäfig, in dem sie wohnten, „Brülle“ hieß und aus einem schwedischen Einrichtungshaus stammte.

Zunächst vertrugen sich die Tierchen recht gut. Jedes Jahr, wenn es auf Weihnachten zuging, musizierten sie sogar miteinander, wobei sie schauerlich kitschige Lieder piepsten. Ich hinderte sie nicht an diesem Tun, sondern freute mich, dass sie gesund waren und es ihnen offensichtlich gut ging. Nur wenn es gar zu unerträglich wurde, hob ich den Deckel von Brülle ab und warf einige Salatblätter hinein, damit sie eine Zeit lang beschäftigt waren. Die Probleme begannen, als die Meerschweinchen geschlechtsreif wurden: Eines Tages beobachtete ich, wie Björn auf Annafrid kletterte. Ich hob ihn herunter, weil ich nicht wollte, dass Annafrid Rückenbeschwerden bekäme, aber er stellte sich recht geschickt an und war gleich wieder auf ihr drauf. Auch konnte ich meine Lieblinge natürlich nicht Tag und Nacht überwachen. Benny versuchte dagegen, auf Agnetha zu klettern, fiel jedoch immer wieder runter. Überhaupt hatte ich das Gefühl, dass er das dümmste und ungeschickteste von allen war. Dafür hatte Björn anscheinend Gefallen an der Kletterei gefunden und bestieg auch Agnetha – ein toller Kerl! Daraufhin biß Benny Björn.

Ich bat Papa, etwas dagegen zu unternehmen. Er murrte zwar, kaufte dann aber „Hasse“, eine Art kleine spanische Wand, die als Raumtrenner diente. Eigentlich ein Standardeinsatz in Brülle, aber wir hatten aus Kostengründen zunächst darauf verzichtet. Hasse trennte jetzt Benny, den ich für den Schuldigen hielt, von den drei anderen, doch das half nichts: In Brülle ging es jeden Tag rund, nur mit der Musik war’s vorbei. Annafrid biß Agnetha und ich steckte sie auf die andere Seite von Hasse zu Benny, da sie wie er dunkles Fell hatte. Kurz darauf kamen winzigkleine rosige und nackte Meerschweinchen aus Agnetha: Sie hatte Junge bekommen! Papa murrte zwar, versprach dann jedoch, sie in ein Meerschweinchenerholungsheim an der Nordsee zu schicken, wo sie schnell größer werden würden und nahm die Würmchen mit. Draußen hörte ich den Deckel der Mülltonne klappen, schöpfte damals aber noch keinen Verdacht. Wenig später begann Björn, Agnetha zu beißen. Mag sein, dass sie wegen einer Kindbettdepression unausstehlich war – nichtsdestotrotz erschien mir Björns Verhalten inakzeptabel. Ich steckte Agnetha zu Benny und dafür Annafrid zu Björn, so dass zu beiden Seiten von Hasse je ein hell/dunkel gemischtes Pärchen hauste.

Das sah ein bißchen aus wie Marmorkuchen – ich war zufrieden. Allerdings nicht lange – Annafrid gebar Kinder. Papa murrte zwar, begleitete die Kleinen aber doch zum Bahnhof, von wo aus sie an die Nordsee fuhren. Auf dem Weg dahin mußte er wohl noch mal aufs Klo: Ich hörte die Toilettenspülung und dachte mir damals nichts dabei. Leider biß Björn dann auch Annafrid und ich begann zu ahnen, dass er, wie so viele starke Persönlichkeiten, einen schwierigen Charakter hatte. Wieder mußte ich Papa um Hilfe bitten. Der murrte zwar, kaufte dann aber „Krükke“, den serienmäßigen Zweitraumteiler für Brülle. Hasse trennte nun Benny und Agnetha von Björn und Krükke trennte diesen von Annafrid.

Dann biß Agnetha Benny, den blöden Benny, der immer noch von ihr herunterfiel. Ich fragte Papa, was ich machen solle. Papa murrte zwar vernehmlich, wußte dann aber Rat: Schon am nächsten Tag wurde „Schnalle“ gekauft und trennte von nun an Benny und Agnetha, während Hasse Agnetha von Björn und Krükke Björn von Annafrid fernhielt.

Weihnachten rückte näher und ich bekam Mitleid mit den Meerschweinchen: Wie sollten sie denn so zusammen musizieren? Heiligabend wagte ich es dann einfach und entnahm Brülle Schnalle, Krükke und Hasse. An einem Abend wie diesem würden sie sich schon vertragen – da war ich mir ganz sicher! Und tatsächlich sangen sie so laut und schrill wie nie zuvor. Wie sie das vermißt haben mußten! Auch als ich das Licht gelöscht hatte, konnte ich die Krümel noch lange von meinem Bett aus hören. Schließlich verstummten sie und ich schlief ein.

Als ich mich am Weihnachtsmorgen mit ein paar Salatblättern dem Käfig näherte, hatte ich sofort ein ungutes Gefühl: Eine bedrückende Stille lastete in der Luft. Die kleinen Musikinstrumente der vier Schnuffeltiere lagen in weitem Umkreis und völlig zertrümmert um Brülle herum. Als ich den Deckel abnahm, sah ich die Bescherung – der Kampf mußte furchtbar gewesen sein! Björn, Agnetha und Annafrid lagen mit blutbesudelten Fellchen tot da. Benny atmete noch, aber er hatte einen Pyrrhussieg errungen: Mama meinte, daß er zu schwer verletzt sei und daß Papa ihn erlösen würde. Außerdem habe man Benny sowieso als Dreingabe zu den drei anderen bekommen. Papa murrte zwar, trug dann Benny aber in den Garten und erschlug ihn mit dem Spaten. Danach wollte ich nie wieder Meerschweinchen haben. ULI HANNEMANN