BEIM THEMA ARBEITSLOSIGKEIT VERFÄLLT DIE POLITIK IN TIEFE REGRESSION
: Wenn Papa Schröder was verspricht

Eigentlich sollten die Arbeitslosen für das kommende Wahljahr schon mal einen Trostpreis bekommen. Denn die Arbeitslosigkeit soll wieder zum Wahlkampfthema werden und das lässt nichts Gutes erwarten. Wenn es um Arbeitsmarktfragen geht, strotzt die Politik nur so vor Versprechungen, Größenwahn und Schuldzuweisungen. Das Verhältnis zwischen Politik und Wählerschaft verfällt in tiefe Regression, wohl auch deshalb, weil das Thema so viel Angst erzeugt.

Kanzler Schröder hat es vorgemacht: Sein Versprechen von 1998, die Zahl der Arbeitslosen auf 3,5 Millionen zu drücken, war schlicht Größenwahn. Als die boomende Konjunktur und die demografische Entwicklung die Arbeitslosenzahlen senkten, nahm Schröder die positive Entwicklung schamlos für sich in Anspruch. Kinder kennen diese Tour von den Eltern, wenn man unfreiwillig bei miesem Wetter zum Familienspaziergang startet und dann plötzlich die Sonne durch die Wolken bricht, begleitet von Sprüchen des Vaters: „Seht her! Wir haben alles richtig gemacht. Ich hab’s euch doch versprochen, dass es schön wird!“ Für Schröder aber ist die Schönwetterperiode vorbei, und jetzt sind alle enttäuscht.

Wirtschaftsexperten rechnen mit durchschnittlich 4,2 Millionen Arbeitslosen im kommenden Jahr. Daran sind nun doch die anderen schuld, die Amis zum Beispiel. Schröder redet von „Abhängigkeit“, der Abhängigkeit der deutschen Arbeitslosigkeit von der lahmen amerikanischen Konjunktur nämlich. Und dafür könnten die Deutschen ja nun mal nichts. Auch diese Schuldzuweisung ist ein Stück politischer Regression. Der deutsche Aufschwung wie auch der Abschwung waren immer mit der US-Wirtschaft verknüpft. Nicht erst seit Schröder.

Wenn die Rhetorik der Arbeitsmarktdiskussion immer etwas Kindliches hatte, diesen Sound von „Kanzler, hilf!“, dann stellt sich die spannende Frage, was denn ein „erwachsener Diskurs“ zur Jobfrage wäre. Vielleicht wäre schlichtweg eine offenere Diskussion schon „erwachsener“ – etwa ein Streit um Alternativen im Sozialstaat. Alternativen, die nichts zu tun haben mit dem Wachstum oder den Amerikanern.

Man stelle sich vor: Im Wahlkampf tritt ein Politiker auf und sagt: „Leute, ich will ehrlich sein. Die Deutschen haben zwar einen hohen Sockel an Langzeitarbeitslosen, gleichzeitig aber auch eines der am besten ausgestatteten sozialen Sicherungssysteme der Welt. Vielleicht sollten wir deshalb alles so belassen, wie es ist, den hohen Sockel an Langzeitarbeitslosen akzeptieren und ihnen die Stütze weder kürzen noch sie in irgendeinen Job zwingen, in dem sie eigentlich niemandem nützen.“ Hätte ein solcher Politiker Chancen, gewählt zu werden? Nein, denn eins darf Politik niemals verbreiten: den muffigen Geruch von Stagnation.

Also gäbe es noch Alternative zwei. Ein Politiker sagt: „Mal ehrlich, Leute! Wir könnten die Arbeitslosenstatistik leicht drücken, man müsste nur die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes begrenzen und die Arbeitslosenhilfe abschaffen. Sicher würden sich dann zehn bis zwanzig Prozent der Leute doch mal überlegen, wegen eines Jobs umzuziehen oder auch eine Arbeit anzunehmen, die schlecht bezahlt und verschleißend ist. Die Verarmung der restlichen Joblosen müsste man dann eben in Kauf nehmen.“ Auch ein solcher Politiker würde nicht gewählt, denn viele haben Angst vor Kürzungen. Schließlich kann es jeden treffen.

Stattdessen wird also wieder herumlaviert mit kindlichen Heilserwartungen. Das neue Zauberwort heißt „Kombilohn“. Solche staatlichen Lohnsubventionen für Niedrigverdiener fordern Grüne und CDU. SPD-Kanzler Schröder musste sich wohl oder übel bereit erklären, die Chancen neuer bundesweiter Modelle wenigstens zu „prüfen“. Das Problem des „Kombilohns“ aber ist, dass sich erstens darüber vor allem die Arbeitgeber freuen werden – schließlich würde ihnen ein Teil der Lohnsumme staatlicherseits abgenommen. Zweitens müsste der Kombilohn auch von irgendwem bezahlt werden – im Zweifelsfall von Erwerbstätigen und Steuerzahlern.

Der „Kombilohn“ hat aber einen politischen Vorteil: Er ist eine der letzten noch verbliebenen Ausreden, um eine Arbeitsmarktpolitik zu simulieren, die keinen Streit hervorruft. Was aber kommt, wenn auch diese Ausrede erschöpft ist, das ist die spannende Frage. BARBARA DRIBBUSCH