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Eine Wurst für die Angst

Manche Menschen haben vor dem Fliegen panische Angst. Sie können sie nur überlisten, indem sie sie beschäftigen. Ein Kurs lehrt, wie das geht

von JANNA PLOTE (Text) und ACHIM WERNER (Fotos)

Wenn Jens ans Fliegen denkt, sieht er eine enge lange Röhre. Er sieht einen betrunkenen Piloten, Feuer und überall defekte Kabel. Wenn Jens ans Fliegen denkt, ist sein Puls bei 140 und das Herzklopfen schnürt ihm die Kehle zu – immer hat er das Gefühl: Jetzt bleiben mir noch zehn Minuten bis zum Aufprall.

Wenn Laura del Fabro-Güntsch ans Fliegen denkt, dann sieht sie Menschen wie Jens, die Samstagmorgen in ihrem Seminarraum sitzen und nicht glauben, dass ihnen wirklich jemand helfen kann. Dass jemand was gegen die Flugangst machen kann.

Fast jedes Wochenende bietet die Agentur Texter-Millot in einer deutschen Stadt ein „Seminar für entspanntes Fliegen“ an. Die Seminare beginnen stets am Samstagmorgen und enden am Sonntagnachmittag mit einem Abschlussflug. Wenn alles gut geht, werden wir, die acht Teilnehmer, also auch an diesem Sonntag in einem Flugzeug sitzen und lächeln. Aber jetzt ist erst Samstagmorgen und wir klammern uns an unsere Kaffeetassen im Seminarraum eines Hotels in Hannover. Die Augen wandern argwöhnisch von einem zum anderen und bleiben unweigerlich bei einer Person hängen.

„Wenn ich nach Mailand muss, dann fahr ich eben in 18 Stunden da runter, da kenn ich nichts“, sagt Jens und in jeder anderen Situation nähme man ihm den Stolz ab. Jens ist einer, den jeder sofort bemerkt, wenn er den Raum betritt, er ist lustig und hat immer etwas zu sagen, er ist ein Chef und man kann sich nur schwer vorstellen, dass er wirklich Angst vorm Fliegen hat. Solche Angst, dass er bisher nie seinen Freund in Neuseeland besucht hat, mit dem er gerne einen Segeltörn unternehmen würde.

Hausfrauen, Vertriebsangestellte und Firmenchefs, sie fliegen geschäftlich oder privat, zwingen sich zum Fliegen. Manche steigen irgendwann einfach nicht mehr ins Flugzeug. Laura del Fabro-Güntsch therapiert seit sieben Jahren Flugangst bei allen, die den Mut haben zu ihr zu kommen. Die Italienerin ist Doktorin der Psychologie. „Man muss die Flugangst bekämpfen wollen, man muss wirklich etwas dagegen tun wollen, sonst funktioniert es nicht“, sagt sie und die Zuversicht in ihrer Stimme klingt wirklich beruhigend.

An Gate 6 sitzt der Dämon

Heike weint, allein der Gedanke an die Angst reicht schon aus, dass alles wieder hochkommt. Dass sie doch eigentlich immer so gerne geflogen ist und dass es jetzt nicht mehr geht, weil sie schon drei Wochen vorher Bauchschmerzen bekommt und kaum etwas essen kann. „Ich hab sieben Kilo abgenommen, mir war ständig schlecht und ich konnte an nichts anderes mehr denken, nur noch an diesen Flug und als es dann soweit war, ging’s nicht.“ Wir Seminarteilnehmer nicken, jeder hat seine eigene Angst, aber die Symptome sind fast immer gleich. Schweißausbrüche, Kurzatmigkeit, Herzrasen, Übelkeit, Durchfall, Erbrechen. Immer noch können wir nicht glauben, dass Laura helfen kann. „Ich kann die Flugangst nicht wegmachen, aber ich kann zeigen, wie man mit ihr umzugehen lernt“, sagt sie und wir lernen, dass die Angst wie ein Hund ist. Wir sollen sie beschäftigen, genauso wie es der Einbrecher macht: Er gibt dem Hund eine Wurst. Wir geben der Angst eine Wurst.

Morgen um 12:45 Uhr – Gate 6 kommt der Höhepunkt des Seminars. Wir haben den Termin vor Augen wie einen Dämon. Obwohl 94 Prozent aller Teilnehmer schließlich ins Flugzeug steigen und am Abschlussflug teilnehmen, wie es auf der Agentur-Internetseite www.flugangst.de steht. Seit dem 11. September hat nicht nur die Zahl der Fluggäste insgesamt abgenommen, sondern auch die der Seminarteilnehmer. Wer sowieso nicht fliegt, der hat auch keine Flugangst.

Merkwürdigerweise fürchtet sich von den Seminarteilnehmern niemand vor Terroristen, keiner nimmt wegen des 11. Septembers teil. Heike bringt es auf den Punkt: „Wenn mir wirklich so etwas passieren sollte, dann ist das wohl Schicksal, aber ehrlich gesagt halte ich das für unwahrscheinlich.“ Unsere Angst ist anders, wir fürchten uns vor technischem und menschlichem Versagen, vor der Höhe, der Enge, den Geräuschen und vor dem Eingesperrtsein. Es wäre schön wenn morgen einfach alles weg wäre. Wenn wir morgen in das Flugzeug steigen und uns freuen würden, dass wir fliegen. Es wäre schön, wenn Laura unsere Angst einfach ausschaltet. „Ich hab schon so viele Schwierigkeiten in meinem Leben hingekriegt, ich hab noch nie etwas nicht wieder hinbekommen.“ Jens spricht vielen von uns aus der Seele, „normalerweise hab ich nie Angst, aber diesmal lässt es sich nicht wegschieben, ich hab versucht einfach darüber hinwegzugehen, aber es geht nicht.“

„Wenn erst einmal eine bestimmte Schwelle überschritten ist, kann man die Angst nicht mehr mit dem Kopf bekämpfen, man muss dann auf die emotionale Ebene gehen“, erklärt Laura den Sinn progressiver Muskelentspannung, „Sie müssen ihren Körper entspannen, um die Angstsymptome zu verringern, erst dann können sie weiter mit ihrem Kopf arbeiten.“ Wir versuchen uns zu entspannen. Anspannen, Entspannen, Anspannen, Entspannen – es wirkt einfach viel zu profan, irgendwie unspektakulär. Aber es funktioniert, wir sind wirklich einige Minuten entspannt.

Bis die Tür aufgeht und zwei Piloten von der Lufthansa im Raum stehen. Kaum haben wir die Uniformen gesehen, spult der Film im Kopf wieder ab. Morgen . . . Fliegen . . . Absturz . . . Morgen . . . Fliegen . . . Absturz.

Wir dürfen mit Rolf Stünkel und Robin Holze, unseren Piloten, zu Mittag essen und sie mit Fragen löchern. Zwei Flugzeugpiloten ganz für uns alleine. „Haben Piloten auch Flugangst?“ – „Nein, davon hab ich noch nie gehört.“ „Was ist, wenn sich die beiden Piloten mal verquatschen und nicht aufpassen?“ – „Wir dürfen im Cockpit nur über das sprechen, was mit dem jeweiligen Flug zu tun hat, anderen Themen sind tabu, alle unsere Gespräche werden aufgezeichnet und überwacht.“ „Was passiert wenn ein Triebwerk abbricht?“ – „Das ist sehr unwahrscheinlich, aber wenn es zum Beispiel einmal ausfallen sollte, das macht nichts, das Flugzeug kann ohne weiteres mit einem Triebwerk starten, fliegen und landen.“ Es tut gut, mit einem Piloten Mittag zu essen.

Wir müssen nun den Flughafentest bestehen. Konfrontation mit der Angst und Vorbereitung auf sie. Wir werden ein Flugzeug besichtigen, zusammen mit unseren Piloten. Das Flugzeug ist ein Airbus und eng wie alle Flugzeuge, findet Jens. „Immer wieder diese enge lange Röhre, da wird mir schon bei der Vorstellung schlecht.“ Jens sieht nicht so aus, als würde die Flugzeugbesichtigung ihn beruhigen. Er sagt: „Die Technik ist nicht mein Problem, das weiß ich alles, ich weiß, dass prinzipiell nichts passieren kann, es ist mehr das Gefühl ausgeliefert zu sein.“ Heike sitzt im Cockpit, in ihren Augen spiegelt sich eine Mischung aus Skepsis und Neugier, „Was passiert wenn die Knöpfe hier ausfallen?“ – „Das macht nichts“, sagt Robin Holze, „auf der anderen Seite sind noch einmal dieselben. Wenn ein Pilot ohnmächtig wird, dann kann der andere jederzeit von seiner Seite aus das ganze Flugzeug alleine starten, fliegen und landen, deshalb ist es wichtig, dass immer zwei Piloten da sind.“

Wir sind beeindruckt und vielleicht sogar ein wenig besänftigt. Wir haben es uns in den Sitzen bequem gemacht und entspannen uns mit Lauras Übungen. Wir proben für den Ernstfall. Für den Fall, dass die Angst kommt, dass sie sich an unserer Wurst vorbeischleicht. An all dem, was wir in den vergangenen Stunden gelernt haben. Die Zeit drängt, draußen wird es schon dunkel und wir sollen noch mehr über Flugzeuge lernen. Angst haben ist anstrengend und so verabschieden wir uns völlig erschöpft. Halb neun – Feierabend.

Als hätte etwas über Nacht die Angst mitgenommen, sitzen wir sehr viel entspannter als am Vortag wieder im Seminarraum. Auf der Angstskala von 1 bis 100 sammeln wir uns um die 10. Nur Jens ist mindestens bei 60. Rolf Stünkel und Robin Holze haben am Vortag den Hebel umgelegt, rein technisch kann ein Flugzeug nicht vom Himmel fallen das wissen wir jetzt und das ist ein gutes Gefühl. Bleibt die Angst vor der Angst, ein Beklemmungsgefühl im Bauch.

Warten ist pures Gift

„Entspannung“, sagt Laura und wir lernen noch ein paar weitere Übungen und Atemtechniken, um unsere verkrampften Muskeln zu lockern. Auf Jens Angstskala steigt die Kurve mit den Minuten, wir sehen es an seinem Gesicht und daran, dass er nichts mehr sagt. Aber auf dem Weg zum Flughafen werden eigentlich alle ein wenig leiser. Vor Gate 6 ist der Spannungshöhepunkt erreicht, wir müssen noch zehn Minuten warten. Warten ist pures Gift. Wir sind angeschnallt, das Flugzeug rollt zur Startbahn und beschleunigt. Es hebt ab und wir unsere Arme hoch, hinter die Kopfstütze gefasst und mit aller Kraft alle Muskeln des Körpers anspannen. Dann ruckartig loslassen, 20 Sekunden Warten und noch mal. Unsere Körper entspannen sich tatsächlich.

„Wenn Sie merken, dass die Angst kommt, handeln Sie sofort“, sagt Laura. Sie geht von einem zum nächsten, „akzeptieren sie ihre Angst, aber bekämpfen Sie sie.“ Wir kämpfen, jeder für sich, mehr oder weniger, wir lassen unseren Film abspulen und entkräften die Angst mit Logik, wir entspannen unsere Körper und geben der Angst die Wurst. Eine Stunde später sind wir in München und es ist wunderschön Heikes Gesicht zu sehen. Sie strahlt und steckt uns alle damit an. Wir haben etwas geschafft, das zumindest ein paar von uns nicht für möglich gehalten haben. Wir sind geflogen. Der Rückflug ist schon fast ein Kinderspiel, ein paar Entspannungs- und Atemübungen, da sind wir schon wieder zurück in Hannover.

Jens ist nicht mehr da, vielleicht hat er unsere Maschine noch wegfliegen sehen, vielleicht ist er aber auch gleich gefahren. Laura sagt uns, dass viele von denen die nicht am Abschlussflug teilnehmen, sich so sehr über sich selbst ärgern, dass die Wut letztendlich ihre treibende Kraft wird. Wir hoffen, dass er sich sehr ärgert, so sehr, dass er endlich nach Neuseeland fliegt – wie er es sich gewünscht hat.

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