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Das Puzzle passt noch nicht

Auch beim Weltcup in Oberhof gelingt es den deutschen Biathleten nicht, den zweiten Saisonsieg unter Dach und Fach zu bringen. Vier Wochen vor Olympia bereitet das so langsam Sorge

aus Oberhof MATTI LIESKE

„Weltcup“, sagt der russische Biathlon-Weltmeister Pawel Rostowtsew, „das ist nicht wichtig. Nach der Saison ist das alles vergessen. Aber im Februar, da ist ein wichtiges Rennen.“ Ganz so krass würde es Magdalena Forsberg, die gerade in Oberhof ihr 40. Weltcuprennen gewann, wohl nicht ausdrücken, doch auch für die Schwedin stehen die Olympischen Spiele von Salt Lake City in knapp einem Monat bereits jetzt im Mittelpunkt ihres Strebens. Das Gleiche gilt für Frank Ullrich. Der Bundestrainer der deutschen Männer würde Weltcupsiege momentan allerdings mit Kusshand nehmen. Erst einen hat Frank Luck dem Team in diesem Winter geholt, und selbst wenn Ullrich tapfer beteuert, dass auch fünfte Plätze große Leistungen seien, wurde in Oberhof doch deutlich, dass ihm die auch dort anhaltende Siegflaute seiner Biathleten in Hinblick auf Olympia gewisse Sorgen bereitet.

„Die Weltspitze ist eng zusammen gerückt“, sagt Frank Ullrich. Wer in Salt Lake City Gold will, für den sollte an diesem Tag alles passen. „Es reicht nicht, in Form zu sein, man muss diese Form auch realisieren“, weiß Pawel Rostowtsew, der in Oberhof souverän Sprint und Verfolgung gewann, aus langer Erfahrung. Eine Kostprobe seiner eigenen Theorie bekam der 30-Jährige am Samstag, als er beim Massenstart über 15 km nach ungewohnten Fehlschüssen eine beeindruckende Laufleistung benötigte, um noch Rang acht zu retten.

Die schwierige Strecke von Oberhof mit rasanten Abfahrten und kniffligen Anstiegen diente für alle Athleten, die bereits für Salt Lake City qualifiziert sind, als Standortbestimmung sowie als Gradmesser ihres derzeitigen Leistungsvermögens und ihrer Möglichkeiten. Für alle anderen war es eine der letzten Chancen, sich noch für die Olympiamannschaft zu empfehlen. „Nominiert wird nach Ruhpolding“, sagt Frank Ullrich, der nichtsdestotrotz eine fundamentale Erkenntnis aus Thüringen mitnahm: „Wir können um die Medaillenränge mit kämpfen, wir können aber auch, wenn es so läuft wie heute, auf Platz fünf bis zehn landen.“

Heute, das war das Massenstartrennen am Samstag, bei dem die im Schießen wie im Laufen extrem starken Franzosen Raphael Poiree und Vincent Defrasne die Konkurrenz düpierten. „Er hat mir ganz schön Probleme bereitet“, sagte Sieger Poiree über seinen Freund und Kollegen und erzählte, dass es schon lange sein Traum gewesen sei, einmal mit Defrasne den ersten und zweiten Platz bei einem Rennen zu belegen. „Aber natürlich war es kein Traum“, fügte er grinsend hinzu, „dass ich dabei Zweiter werde.“

Für das deutsche Team verlief der Tag eher ernüchternd. Nach dem zuvor Sven Fischer mit einem zweiten Rang im Sprint und einem dritten bei der Verfolgung seine Anwartschaft auf eine Olympiamedaille unterstrichen hatte, kamen zwar mit Ricco Groß (5.), Peter Sendel (6.) und Sven Fischer (10.) drei Leute unter die ersten Zehn, verdarben sich jedoch durch Fehlschüsse bessere Platzierungen. Besonders hart erwischte es ausgerechnet vor 14.000 Zuschauern in seinem Heimatstädtchen den Veteranen Frank Luck, der wegen eines Defekts an seinem Gewehr schon nach dem ersten Schießen hoffnungslos zurücklag. Zuvor hatte der 34-Jährige beim Sprint mit einem 23. Rang bereits seine Weltcup-Führung an Rostowtsew verloren.

Sven Fischer zeigte sich, was Olympia betrifft, dennoch optimistisch. „Wir sind noch nicht da, wo wir sein möchten“, sagte der 30-Jährige, „aber wenn man sieht, was wir am Schießstand fabriziert haben, dann ist da noch einiges drin.“ Das hofft auch Frank Ullrich, der sich, wenn nach dem Weltcup in Ruhpolding kommende Woche die sechs Olympiaplätze vergeben sind, an den „Feinschliff“ machen will. „Es geht darum, die Individualität und die komplexe Biathlonleistung zusammenzufügen“, erläutert der Bundestrainer. Vor allem die komplizierte Aufgabe, trotz völliger Verausgabung beim Laufen die Ruhe beim Schießen zu finden, müsse den Athleten „in Fleisch und Blut übergehen“, so Sven Fischer, der sein Laufvermögen momentan mit 95 Prozent beziffert, sich beim Schießen aber erst bei 90 Prozent wähnt.

Niemand kann derzeit seine „komplexe Biathlonleistung“ besser zusammenfügen als Magdalena Forsberg, auch wenn sie sich im gestrigen Massenstart-Rennen über 12,5 km der Ukrainerin Olena Zubrilowa und der Norwegerin Liv Grete Poiree geschlagen geben musste (Kati Wilhelm wurde Vierte). Was der 34-jährigen Schwedin, die nach dieser Saison aufhören will, noch fehlt, ist eine olympische Medaille – nicht der geringste Grund, nach den Spielen 1998 in Nagano weiterzumachen. Damals hatte die unumschränkte Dominatorin des Biathlons der letzten Jahre als große und einzige Favoritin gerade mal einen 14. Platz als bestes Individualergebnis erreicht. Ein Makel, den sie in vier Wochen in Soldier Hollow zu tilgen gedenkt. Dass sie Gold keineswegs sicher hat, erfuhr sie in Oberhof, wo sie Sprint und Massenstartrennen verlor– und auch in der Verfolgung bis kurz vor Schluss zurück lag. Alle vor ihr liegenden Kontrahentinnen – inklusive Uschi Disl – schossen jedoch bei giftigem Seitenwind „mit schlotternden Knien“ (Disl) mehrfach fehl – und am Ende hieß die Siegerin wieder Magdalena Forsberg. „Ich hatte Glück“, sagte die Schwedin bescheiden lächelnd, vergaß aber zu erwähnen, dass sie dem Glück mit einem fehlerfreien letzten Auftritt am Schießstand kräftig auf die Sprünge geholfen hatte.

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